Der Kommandant und das Mädchen
nicht?”
“Nein, nein”, wehre ich ab. Ich weiß nicht, was ich eigentlich fühle. Vielleicht Mitleid oder Bedauern.
Krysia tätschelt meine Hand. “Das kann ich verstehen. Es ist keine leichte Sache, einem anderen Menschen das Herz zu brechen, nicht mal wenn es ein Mensch wie Richwalder ist.”
“Vermutlich nicht.” Ich räuspere mich. “Er hat mich gebeten, ihn heute Abend zu besuchen.”
Sie hält in ihrer Bewegung inne. “So? Und was hast du gesagt?”
“Ich habe mich einverstanden erklärt. Es ging nicht anders.” Mir entgeht nicht mein rechtfertigender Tonfall. “Ich konnte keine Ausrede vorbringen.”
“Das kann ich verstehen. Allerdings macht das alles noch etwas komplizierter, weil du am Morgen aufbrechen musst.”
“Das werde ich hinbekommen. Der Kommandant hat einen sehr tiefen Schlaf.” Ich merke, dass ich rot werde, als ich dieses intime Detail enthülle. “Ich bin schon oft aus dem Haus gegangen, als er noch schlief.”
“Trotzdem müssen wir absolute Gewissheit haben”, erklärt sie und geht aus der Küche, Augenblicke später kehrt sie zurück. “Hier.” Sie drückt mir ein Glasröhrchen mit einem weißen Pulver in die Hand. “Schlafpulver. Wenn du ein wenig davon in seinen Weinbrand mischst, wird er sehr fest schlafen, und du kannst garantiert unbemerkt seine Wohnung verlassen.”
“Woher …?”, frage ich verständnislos.
“Ich bekam es vor einer Weile von Pankiewicz. Normalerweise wird das von Ärzten benutzt, um Patienten bei kleineren Eingriffen ruhigzustellen. Ich bat ihn darum, weil … nun ja, man kann nie wissen.”
Ich muss daran denken, wie oft ich darauf gewartet habe, dass der Kommandant endlich einschläft, damit ich seine Unterlagen durchsuchen kann. “Warum hast du mir das nicht früher gegeben?”, frage ich sie.
“Mit dem Gedanken habe ich gespielt, aber es ist ein sehr starkes Pulver”, antwortet sie. “Selbst wenn du nur eine ganz geringe Menge davon nimmst, würde er sich am nächsten Morgen fühlen, als hätte er sich völlig betrunken. Ich hielt es für zu riskant, es jedes Mal zu benutzen, weil er vielleicht misstrauisch geworden wäre. Doch jetzt …”
“Ja, ich verstehe.” Die kommende Nacht ist die letzte, die ich mit ihm verbringen werde. Jetzt habe ich nichts mehr zu verlieren. Ich stehe auf und stecke das Röhrchen in meine Rocktasche. “Krysia, es ist doch unbedenklich, nicht wahr?”, frage ich, woraufhin sie mich rätselnd ansieht. “Für mein Kind, meine ich. Wenn ich heute Nacht beim Kommandanten bin …” Es ist mir zu peinlich, meine Frage zu Ende zu führen.
Aber Krysia hat mich auch so verstanden. “Natürlich, du warst nicht mehr bei ihm, seit du weißt, dass du schwanger bist, richtig?” Ich nicke. “Mach dir keine Sorgen. In dieser frühen Phase dürfte nichts passieren.”
Von oben höre ich Łukasz leise plappern. Er ist aus dem Mittagsschlaf erwacht. “Ich kümmere mich um ihn”, sage ich, heilfroh darüber, diese Unterhaltung beenden zu können.
“Ja, gut.” Sie begibt sich zur Treppe in den zweiten Stock. “Ich suche schon mal warme Kleidung für euch heraus.”
Den Rest des Tages verbringen Krysia und ich damit, die bevorstehende Abreise vorzubereiten. Wir packen kleine Taschen mit Kleidung und stellen die Lebensmittel zusammen, die sich gut transportieren lassen und stärkend sind. Dabei reden wir nur wenig. Am Abend klammert sich Łukasz fester an mich als sonst, als ich ihn zu Bett bringe. Er scheint zu wissen, dass es das letzte Mal ist.
Um kurz vor acht höre ich den Wagen des Kommandanten vorfahren. “Hast du das Pulver?”, fragt Krysia, die mir nach unten in die Diele folgt.
“Ja”, antworte ich und ziehe meinen Mantel an. “Ich werde vor Sonnenaufgang zurück sein.”
“Gut. Pass heute Nacht auf dich auf. Wir sind so dicht davor, dich in Sicherheit zu bringen, da darf einfach nichts mehr schiefgehen.” Sie gibt mir einen Kuss auf die Wange, ich spüre ihre papierenen Lippen auf meiner Haut. “Wir sehen uns morgen, bevor du fortgehst.”
Als der Wagen vor dem Haus des Kommandanten hält, stelle ich überrascht fest, dass er selbst unten an der Tür auf mich wartet. “Du strahlst förmlich”, sagt er liebevoll und nimmt meinen Arm, dann führt er mich nach oben. Dabei fällt mir auf, dass er sich rasiert hat. Die Wohnung wirkt wie verwandelt, als ich sie betrete. Die Tische sind freigeräumt, die Fenster geputzt.
Überrascht sehe ich ihn an. “Du hast
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