Der Kommandant und das Mädchen
aufgeräumt?”
“Ja”, bestätigt er und hilft mir aus dem Mantel. “Oder besser gesagt: Ich habe aufräumen lassen. Unordnung mag man einem Witwer wie mir zugestehen, aber in einer solchen Umgebung kann man kein Kind aufwachsen lassen.”
Ich möchte am liebsten erwidern, das Kind werde hier sowieso nicht aufwachsen, doch ich verkneife mir meinen Kommentar. Offenbar will er auf diese Weise zeigen, dass er ein guter Vater sein wird.
Als ich zum Sofa gehe, fällt mir noch eine Veränderung auf: Margots Foto steht nicht mehr auf dem Kaminsims, den Platz hat eine Vase mit frischen Schnittblumen eingenommen. “Georg …” Ich deute auf den Sims.
Er kommt zu mir und umfasst meine Hände. “Du bist jetzt mein Leben”, erklärt er. “Es ist Zeit, die Vergangenheit ruhen zu lassen.”
Ich suche in seinem Gesicht nach Anzeichen für Trauer oder Gewissensbisse, kann aber nichts finden. Zum ersten Mal macht er auf mich den Eindruck eines rundum glücklichen Mannes. Schuldgefühle überkommen mich. Morgen hat meine Maskerade ein Ende, und mit mir verschwindet auch Anna. Was wird dann aus ihm werden?
“Hast du Hunger?”, fragt er.
Ich will bereits den Kopf schütteln, da fällt mir das Schlafpulver ein. “Ein wenig schon”, lüge ich. “Vielleicht etwas Leichtes. Lass mich die Getränke einschenken, während du dich um das Essen kümmerst.”
Er zieht sich in die Küche zurück, ich gehe zur Anrichte, in der er die alkoholischen Getränke aufbewahrt, und nehme zwei Gläser heraus. Nach einem raschen Blick über die Schulter gebe ich etwas von dem Pulver in ein Glas, zögere dann aber, weil ich mir nicht sicher bin, wie viel die richtige Menge ist. Krysia hat mir dazu nichts gesagt, also lege ich sicherheitshalber noch eine Prise nach, dann schenke ich den Weinbrand ein. “Es ist angerichtet”, ruft der Kommandant mir zu, als er mit zwei Tellern aus der Küche kommt.
Schnell verstecke ich das Glasröhrchen in meiner Rocktasche und drehe mich zu ihm um, wobei ich hoffe, dass mir meine Panik nicht anzumerken ist. “Das sieht ja köstlich aus”, bringe ich heraus, während ich die Gläser zu dem niedrigen Wohnzimmertisch bringe.
Der Kommandant unterhält sich beim Essen so beiläufig mit mir, als wäre dies nicht mein letzter Abend in Kraków und als würde er mich nicht morgen früh nach Österreich schicken. Wachsam verfolge ich, wie er seinen Weinbrand trinkt, und hoffe darauf, dass sich das Pulver restlos aufgelöst hat und er keine verräterischen Spuren im Glas bemerkt. Nach ein paar Minuten betrachte ich seine Augen, doch sie sind völlig klar und lassen keine Spur von Müdigkeit erkennen. Wie lange das Pulver wohl braucht, bis es wirkt? Als wir gegessen und einen Tee getrunken haben, beugt der Kommandant sich zu mir herüber und legt einen Arm um mich.
“Lass uns ins Schlafzimmer gehen”, schlage ich vor.
“Einverstanden.” Im Schlafzimmer sehe ich, wie das Pulver zu wirken beginnt. Seine Pupillen sind geweitet, er küsst mich träge und bewegt unbeholfen seine Hände. Nur wenige Minuten später dreht er sich mit geschlossenen Augen zur Seite, sein Atem geht schwer. Es ist tatsächlich ein sehr starkes Pulver, und ich kann nur hoffen, dass ich ihm nicht zu viel davon gegeben habe. Mein Blick fällt auf die Uhr auf dem Nachttisch. Es ist nach elf. Mir war gar nicht bewusst, dass wir uns so lange unterhalten haben.
Ich sehe zur Decke und überlege, was ich nun machen soll. Am liebsten würde ich gehen, doch ich weiß nicht, wie lange die Wirkung anhält. Meine Befürchtung ist, er könnte zu früh aufwachen und feststellen, dass ich bereits gegangen bin. Nein, es ist wohl besser, wenn ich noch eine Weile bleibe. Auch wenn ich die meiste Zeit über nur so getan habe, als würde ich aus meinem Glas trinken, machen mich die wenigen Schlucke Weinbrand schläfrig, und ich muss mich wiederholt kneifen, damit ich nicht eindöse.
Während ich neben dem Kommandanten im Bett liege, muss ich an meine Eltern denken. Es ist so lange her, seit ich sie das letzte Mal sah, und jetzt soll ich sie für immer verlassen, ohne mich von ihnen zu verabschieden. Immer wieder geht mir mein Gespräch mit Krysia durch den Kopf. Ich weiß, sie hat recht. Wenn ich mich zum Ghetto begebe, riskiere ich mein Leben und bringe jeden in meiner Nähe in Gefahr. Es wäre verrückt, vor allem jetzt, da ich so kurz davor bin, in Sicherheit gebracht zu werden. Dennoch: ich muss es zumindest versuchen. In wenigen Stunden verlasse
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