Der Kommandant und das Mädchen
mich zum Höhepunkt einer jeden Woche.
Gut einen Monat später kam Helga – die Frau, die jeden Freitag die Mahlzeiten zubereitete – auf Marta und mich zu, als wir gerade unsere Mäntel anzogen, um nach Hause zu gehen. “Alek würde dich gern sprechen”, sagte sie zu mir.
Mein Magen verkrampfte sich. Marta warf mir einen fragenden Blick zu, worauf ich mit einem gespielt lässigen Schulterzucken reagierte. “Du musst nicht auf mich warten”, ließ ich sie wissen. Helga zeigte auf die Tür am anderen Ende des Zimmers. Nervös ging ich dorthin und überlegte angestrengt, ob ich mir wohl Aleks Ärger zugezogen hatte. Aber als ich an der halb offen stehenden Tür anklopfte, winkte er mich freundlich zu sich herein.
Das Hinterzimmer war nicht halb so groß wie der andere Raum, ein kleiner, mit Papieren übersäter Tisch stand dort, außerdem ein paar Stühle und ein Feldbett. “Emma, ich bin Alek”, begrüßte er mich lächelnd und hielt mir seine Hand hin. Ich schüttelte sie und wunderte mich, dass er meinen Namen kannte. Dann stellte er mich dem stämmigeren Mann vor, der beim Essen neben ihm gesessen hatte. “Das ist Marek.” Der Mann nickte, legte einen Stoß Papiere zusammen und entschuldigte sich dann.
“Setz dich doch”, bat mich Alek und deutete auf einen Stuhl, ich nahm auf der äußersten Kante Platz. Aus der Nähe fielen mir die dunklen Ringe unter Aleks Augen und die feinen Fältchen in seinen Augenwinkeln auf. “Entschuldige bitte, dass ich mich nicht schon früher vorgestellt habe, doch ich hatte dringende Angelegenheiten zu erledigen.” Ich fragte mich, welche dringenden Angelegenheiten es im Ghetto wohl zu erledigen gab. “Emma, ich möchte es dir ohne Umschweife sagen”, fuhr er fort und senkte die Stimme. “Wir haben einen gemeinsamen Freund. Einen sehr engen Freund. Aus der Zeit an der Universität.”
Mir war sofort klar, er sprach von Jakub. Mein Herz machte einen Satz, und mein Gesichtsausdruck verriet nur zu gut, dass ich verstand, was er meinte. Dann bekam ich mich wieder in den Griff und begann zu protestieren. “Ich … ich weiß nicht, wovon du sprichst …”
“Keine Sorge”, unterbrach er mich und hob die Hand. “Ich bin der Einzige, der es weiß. Vor einiger Zeit hat er mir von dir erzählt und mir dein Foto gezeigt.” Ich errötete. Er meinte bestimmt unser Hochzeitsfoto. Ich wusste, Jakub besaß einen Abzug davon, doch ich hätte nicht gedacht, dass er es jemandem zeigen würde. Trug er es immer noch bei sich? Wie lange war es her, dass dieser Mann es zu sehen bekam? “Er bat mich, dich im Auge zu behalten, falls du herkommen solltest”, erklärte Alek. “Bevor du das erste Mal zu unserem Treffen kamst, war mir nicht klar, wer du bist. Du musst wissen, dein Freund und ich gehen der gleichen Arbeit nach.” Also gehörte Alek auch zur Widerstandsbewegung.
“Hast du …?”, setzte ich an, wagte aber nicht, die Frage auszusprechen.
“Gelegentlich hören wir von ihm, üblicherweise über einen Kurier, da er nicht hierher ins Ghetto kommen kann. Ich werde ihm ausrichten lassen, dass wir uns begegnet sind und es dir gut geht.”
“O ja, bitte, das würde mir sehr viel bedeuten.” Er nickte. Ich wollte noch etwas sagen, zögerte jedoch einen Moment lang, bis ich den Mut zum Weiterreden fand. “Kann ich auch mithelfen? Bei der Arbeit, meine ich.”
Alek schüttelte entschieden den Kopf. “Unser Freund dachte sich bereits, dass du fragen würdest, und er hat sehr klar zu verstehen gegeben, dass das nicht in seinem Sinne wäre. Er ist um deine Sicherheit besorgt.”
“Ich wünschte, er würde sich etwas weniger um meine und dafür mehr um seine eigene Sicherheit sorgen.” Mich überraschte, wie bestimmt mir die Worte über die Lippen kamen.
Alek sah mich ernst an. “Dein Ehemann ist ein großartiger Kämpfer, Emma, und du solltest stolz auf ihn sein.”
“Das bin ich auch”, murmelte ich demütig.
“Gut. Für den Moment werde ich seinen Wunsch respektieren und dich nicht einbeziehen. Aber …”, er machte eine lange Pause und strich sich über den Kinnbart, “… du allein entscheidest, was du tun willst und was nicht. Wenn du uns wirklich helfen willst, dann könnte der Zeitpunkt kommen, an dem deine Hilfe von Nutzen ist. Wie du siehst, arbeiten viele Frauen bei uns mit.” Er deutete auf die Tür zum Nebenraum, und dabei wurde mir erst bewusst, dass all die anderen Gäste beim Schabbesessen in Wahrheit zum Widerstand gehörten – auch Marta.
Weitere Kostenlose Bücher