Der Kommandant und das Mädchen
“Bis dahin bist du bei uns immer herzlich willkommen. Allerdings sollten die anderen nicht erfahren, wer du bist. Deine Ehe muss ein Geheimnis bleiben, es ist besser so. Ich wollte heute nur den Kontakt zu dir aufnehmen und dir von unserem gemeinsamen Bekannten erzählen.”
“Danke.” Ich fasste Alek am Arm, erfüllt von Erleichterung und Dankbarkeit. Er nickte und lächelte warm, dann wandte er sich auf eine Weise wieder seiner Arbeit zu, die zwar nicht unhöflich wirkte, mir aber zu verstehen gab, dass unser Gespräch beendet war. Es kam mir vor, als würde ich tanzen, während ich mich auf den Heimweg begab. Alek kannte Jakub und wusste von unserer Ehe. Zum ersten Mal seit dem Untertauchen meines Mannes fühlte ich mich nicht völlig allein auf der Welt.
4. KAPITEL
A m Montag nach meiner Unterredung mit Alek holte Marta mich nach Schichtende im Waisenhaus ab. Es überraschte mich nicht, sie zu sehen, da sie fast jeden Tag herkam, seit wir uns angefreundet hatten. “Ich muss noch den Topf in die Küche zurückbringen”, sagte ich zu ihr. Jeden Morgen lieferte die Zentralküche des Ghettos für die Kinder im Waisenhaus einen großen Kessel Suppe. Es handelte sich stets um eine gräuliche, wässrige Brühe, in der nur vereinzelt ein paar kleine Stücke Kartoffel oder Kohl schwammen. Die winzige Portion, die jedes Kind als eine von zwei Mahlzeiten am Tag erhielt, reichte natürlich nicht, um irgendjemanden satt zu kriegen. Hadassa Nederman und ich verzichteten wie die anderen Helferinnen so oft wie möglich auf unsere Rationen, damit die Kinder ein bisschen mehr in den Magen bekamen.
“Ich komme mit”, bot Marta an.
“Ja, gern.” Ich nahm meinen Mantel vom Türhaken. Wir verabschiedeten uns von Martas Mutter und begaben uns nach draußen auf die schneebedeckte Straße. Die Winterluft war frostig, aber immerhin hatte der eisige Wind vom Morgen etwas nachgelassen.
“Über was hast du dich am Freitag eigentlich mit Alek unterhalten?”, wollte Marta wissen, als wir in die ulica Lwowska einbogen und an der Ghettomauer entlangspazierten. Ich merkte ihr an, wie eifersüchtig sie war, weil Alek mich allein hatte sprechen wollen.
“Nur über einen gemeinsamen Bekannten”, erwiderte ich ruhig, ohne sie anzusehen.
“Oh.” Diese Antwort schien sie zu beruhigen, da sie minutenlang nichts weiter sagte. “Hattest du vor dem Krieg einen Freund?”, fragte sie wie aus heiterem Himmel, als wir uns dem Ziegelsteingebäude näherten, das früher einmal eine Lagerhalle gewesen war und uns nun als Synagoge diente.
Ich zögerte, da ich nicht wusste, wie ich antworten sollte. Es gefiel mir nicht, Marta über meine Ehe im Unklaren zu lassen. Noch nie hatte ich eine Freundin gehabt, der ich mich anvertrauen konnte. So gern hätte ich ihr von Jakub erzählt, meine Erinnerungen mit ihr geteilt und sie dadurch wieder lebendig werden lassen. Vielleicht war Marta ihm in der Widerstandsbewegung sogar schon begegnet? Aber ich hatte Jakub versprochen, niemandem von unserer Ehe zu erzählen. Er und auch Alek waren der Meinung, es sei zu gefährlich, jemanden davon wissen zu lassen. “Es gab niemand Besonderes”, entgegnete ich schließlich. Meinem Herzen versetzte es einen Stich, ihn und unsere Liebe verleugnen zu müssen.
“Dann gab es also mehrere!”, meinte sie kichernd. Ich schüttelte den Kopf und musste ein Lachen unterdrücken, weil sie glaubte, ich hätte mehrere Liebhaber gehabt. Dabei hatte es vor Jakub nicht einen gegeben.
“Ich glaube, Alek hat was für dich übrig”, flüsterte sie mir zu, nachdem ich den leeren Kessel an der Hintertür zur Küche abgegeben hatte.
“Marta! Er ist verheiratet!” Und das bin ich auch, ergänzte ich in Gedanken. Hätte sie doch nur die Wahrheit wissen dürfen! Ich konnte Alek gut leiden, vor allem, weil er meine einzige Verbindung zu Jakub war. Wir machten uns auf den Rückweg. “Und wie ist es bei dir?”, fragte ich, um das Thema zu wechseln. “Bist du schon jemandem begegnet?” Sie blickte zur Seite und antwortete zunächst nicht. Ich sah, wie sie am Halsansatz zu erröten begann.
“Ja, es gibt da jemanden”, gestand sie leise.
“Aha!”, rief ich aus. “Wusste ich’s doch. Erzähl mir von ihm.”
“Er ist einer von uns.” Damit meinte sie offenbar den Widerstand. “Aber er nimmt von mir keine Notiz.”
“Vielleicht wird er es eines Tages tun. Gib ihm etwas Zeit.” Es begann zu regnen. Große, schwere Tropfen kündigten ein heftiges Unwetter an. Wir
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