Der Kommandant und das Mädchen
sich an der Flamme fast die Finger verbrannte und er sie auspusten musste.
“Ich verstehe nicht. Ist er in der Nähe?”
“Nein, ganz im Gegenteil. Diese Nachricht hat viele hundert Kilometer zurückgelegt, um zu dir zu gelangen.”
“Wo ist er?”
“Frag mich das nicht!”, fuhr Alek mich an. “Er ist in Sicherheit, mehr musst du nicht wissen.”
“Aber …” Tausende Fragen schossen mir durch den Kopf.
“Er ist auf einer … einer Mission”, sagte er. “Er besorgt Dinge, die für uns sehr wichtig sind.”
Dann war mein Ehemann also derjenige, über den sie im Hinterzimmer gesprochen hatten? “Minka?”, fragte ich und vergaß dabei völlig, dass ich das gar nicht hätte wissen dürfen.
“Ja. Außerhalb des Ghettos verwenden wir untereinander Decknamen. Aber du hättest unsere Unterhaltung nicht belauschen sollen. Glaub mir, wenn ich dir sage, es ist umso besser für dich, je weniger du weißt.”
“Ich verstehe”, entgegnete ich, obwohl das Gegenteil der Fall war. Meine Gedanken überschlugen sich. Wo war Jakub? Ging es ihm wirklich gut? Was hatte seine Nachricht zu bedeuten? Und wann würde ich ihn wiedersehen?
“Dein Ehemann besitzt die Gabe, Dinge zu beschaffen, das zu finden, was wir benötigen, und andere Leute dazu zu überreden, uns zu helfen.” Ich musste unwillkürlich lächeln, als ich mir Jakubs flehende Miene und seinen einnehmenden Tonfall vorstellte. Wenn er mich so ansah, konnte ich ihm nie etwas abschlagen oder lange böse sein.
“Er kennt sich auch sehr gut mit Waffen und Munition aus”, fuhr Alek fort. Ich begriff, wie wenig ich eigentlich über den Mann wusste, den ich geheiratet hatte. “Also gut.” Er nahm mir den Zettel aus der Hand. “Tut mir leid, aber den kannst du nicht behalten.” Enttäuscht sah ich mit an, wie er ein weiteres Streichholz anzündete und an das Papier hielt.
“Aber …”, begann ich zu protestieren, hielt jedoch gleich wieder inne, da ich wusste, wie recht er hatte. Wenn jemand den Zettel fand und ihn zu Jakub zurückverfolgen konnte, dann wäre das sehr gefährlich für ihn. Ich musste an unsere Heiratsurkunde und die Ringe denken, die ich in unserer Wohnung unter meiner Matratze versteckte. Niemand wusste, dass ich diese Dinge immer noch besaß.
“Emma, ich weiß, das ist schwierig für dich”, sagte Alek, als der Zettel zu Asche zerfallen war. Wieder herrschte um uns herum Kälte und Dunkelheit. “Du musst Vertrauen haben. Jakub geht es gut, und du bist nicht allein. Wenigstens hast du noch deine Familie.” Bei den letzten Worten nahm seine Stimme einen seltsamen Unterton an.
“Und was ist mit dir, Alek?”, fragte ich, weil ich nicht anders konnte. Ich wusste über ihn nur, was Marta mir erzählt hatte: dass er verheiratet war, dass sich seine Frau aber nicht im Ghetto befand.
“Meine Familie lebte vor dem Krieg in Tarnów”, erwiderte er ausdruckslos. “Meine Eltern waren keine Kämpfer. Sie hatten schreckliche Angst. Am Abend, bevor die Deutschen kamen, um uns zu holen, da legten sie sich ins Bett und nahmen etwas ein. Am nächsten Morgen waren sie tot.”
“Das tut mir leid”, erwiderte ich hilflos.
“Und meine Frau ist nicht hier im Ghetto”, fügte er schnell hinzu. Ob das aus seiner Sicht gut war oder nicht, konnte ich seinem Tonfall nicht entnehmen.
“Dann bist du ganz allein?”
“Ja, bis auf meine Cousine Helga.” Überrascht dachte ich an die Frau mit dem rundlichen Gesicht. Dass er mit ihr verwandt war, wusste ich nicht. “Darum kann ich verstehen, wie du dich fühlst, weil du von Jakub getrennt bist. Wir müssen geduldig sein.” Ich nickte. “Gut, dann geh jetzt nach Hause. Ich verspreche dir, falls ich wieder irgendetwas von ihm oder über ihn höre, werde ich es dich wissen lassen.”
Falls
, wiederholte ich in Gedanken. “Danke, Alek.” Ich hob den Kopf und gab ihm einen verlegenen Kuss auf die Wange, dann wandte ich mich ab und verließ zügig die Gasse. Auf dem Heimweg dachte ich über all das nach, was ich erfahren hatte. Jakub war irgendwo allein unterwegs und organisierte Waffen für den Widerstand. Mir schauderte bei dieser Vorstellung, da es sich ziemlich gefährlich anhörte. Aber wenigstens lebte er noch, oder zumindest hatte er das, als er die Nachricht an mich schrieb. Meine Gedanken kehrten zu Alek zurück. Auch er war von den Menschen getrennt, die er liebte. Er leitete den Widerstand, doch seine eigenen Eltern hatten sich aufgegeben, hatten sich geweigert, Widerstand zu
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