Der Kommandant und das Mädchen
sowohl als Ehefrau des Cellisten Marcin Smok als auch als eine Dame der besseren Gesellschaft. Als ich ihr vorgestellt wurde, reagierte sie jedoch völlig anders, als ich es erwartet hatte. Sie verzichtete auf die üblichen in die Luft geworfenen drei Küsse und drückte mich stattdessen fest an sich. “Mir ist klar, wieso du sie so sehr liebst”, sagte sie zu dem errötenden Jakub.
Krysias warmherzige Begrüßung erschien mir damals ausgesprochen ironisch, da sie nicht mal Jüdin, sondern eine strenggläubige Katholikin war. Ihre Heirat mit Frau Baus Bruder Marcin war ein unerschöpflicher Quell der Kontroversen und Skandale gewesen. Eine Ehe zwischen Angehörigen verschiedener Glaubensrichtungen war schlicht unerhört, das galt selbst für eine so aufgeklärte Familie wie die von Jakub. Marcin und Krysia waren nach Paris durchgebrannt, und für Jahre hatten die Baus das Paar geschnitten. Erst als Jakub zur Welt kam, änderte Frau Bau – die als Kind beide Elternteile durch Krankheit verloren und nur wenige Verwandte hatte – ihre Meinung und entschied, Marcin zu vergeben.
Mir wurde schnell klar, wieso Jakub seine Tante so bewunderte. Ihre Mischung aus Eleganz und unberechenbarem Temperament war einfach unwiderstehlich. Als Kind eines Diplomatenehepaars, das sich geweigert hatte, die eigene Tochter von Fremden aufziehen zu lassen, war Krysia an Orten aufgewachsen, von denen ich nur gelesen hatte: Rom, London, Paris. Nach ihrer Heirat mit Marcin ließ sie sich in Kraków nieder, und als er weiter auf Konzertreisen ging, richtete sie ihr Zuhause in der Stadt ein. Ihre Wohnung in der ulica Basztowa entwickelte sich schnell zu einem Dreh- und Angelpunkt der kulturellen Elite der Stadt. Krysia stellte Polens vielversprechendste Künstler und Musiker den Menschen vor, die sich ein Leben lang als deren Gönner und Förderer hervortun sollten. Trotz ihrer herausragenden gesellschaftlichen Rolle lehnte sie es jedoch ab, sich an Konventionen zu halten. So traf man sie durchaus in einer der vielen Kellerschänken der Stadt an, wo sie vorzugsweise eiskalten Kartoffelwodka trank und bis spät in die Nacht über Politik diskutierte. Ebenso selbstverständlich besuchte sie am nächsten Tag die Oper oder einen eleganten Ball.
Krysia und Marcin blieben kinderlos. Jakub erzählte mir einmal, er wisse nicht, ob dies aus freien Stücken so war oder ob die beiden keine Kinder kriegen konnten. Marcin starb 1932 nach einem zwei Jahre währenden Kampf gegen den Krebs. Nach seinem Tod verkaufte Krysia die Wohnung im Stadtzentrum und zog sich in ihr Wochenendhaus in Chelm zurück. Dort verstand sie es, Einsamkeit und Geselligkeit miteinander zu verbinden, indem sie unter der Woche in ihrem Garten die Ruhe genoss, an den Wochenenden aber oft Gesellschaften gab. Zu diesem Haus sollte ich nun also gebracht werden.
Nach einiger Zeit wurde der Weg abschüssiger, und die Bäume standen nicht mehr ganz so dicht. Minuten später hatten wir den Wald hinter uns gelassen und erkannten ein Stück unterhalb von uns die ersten Bauernhöfe von Chelm. Als wir die Straße entlanggingen, krähte irgendwo ein Hahn, dann begann ein Hund zu bellen, der unsere Anwesenheit zu verraten drohte. Der Fremde legte seine schwere Hand auf meine Schulter. Wie erstarrt blieben wir hinter einem Busch stehen, bis wieder Ruhe eingekehrt war. Nachdem er sorgfältig geprüft hatte, dass niemand uns beobachtete, führte mich der Mann über die Straße und um eines der größeren Häuser herum. An einer Hintertür klopfte er leise an, worauf fast sofort geöffnet wurde. Im fahlen Licht erkannte ich Krysia Smok. Angesichts ihrer stattlichen Erscheinung schämte ich mich für meine abgetragene Kleidung und mein zerzaustes Haar, doch sie nahm meine Hand, zog mich zu sich ins Haus und schloss mich in ihre Arme. Sie duftete nach einer Mischung aus Zimt und Äpfeln, was mich an Jakub erinnerte.
“Meine Liebe”
, sagte sie und strich mir zärtlich übers Haar. Einige Augenblicke lang stand ich einfach da und ließ mich von ihr umarmen, erst dann fiel mir der Mann ein, der mich hergebracht hatte. Ich drehte mich um, da ich mich bei ihm bedanken wollte, doch er war bereits verschwunden.
“Bist du müde?” Krysia schloss die Tür und zog mich hinter sich her in den Salon im ersten Stock, wo ich mich auf einen der Stühle setzte. Ich schüttelte den Kopf. “Ich bin gleich zurück”, erklärte sie und ließ mich allein. Ich erkannte an ihren Schritten, dass sie nach oben in
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