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Der Kommandant und das Mädchen

Der Kommandant und das Mädchen

Titel: Der Kommandant und das Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pam Jenoff
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leisten. Ich dachte an meine Eltern, die Tag um Tag ihr Leben lebten. Mit einem Mal erschien mir ihr simpler Akt, jeden Morgen aufzustehen und einen Fuß vor den anderen zu setzen, wie eine außergewöhnlich tapfere Tat. Ich wusste, sie taten es für mich. Als ich in die Sicherheit unserer Wohnung zurückkehrte, empfand ich eine überwältigende Dankbarkeit, und ich musste mich zwingen, nicht auf der Stelle zu ihnen zu gehen und sie zu umarmen.
    Ich zog mich um und legte mich ins Bett, konnte aber noch lange nicht einschlafen, da ich an Jakub und seine Nachricht denken musste. Alek wollte mir nicht sagen, wo er war, doch ich hatte den Teil des Umschlags genauer betrachten können, auf dem die Worte an mich gekritzelt waren. Der Poststempel kam aus Warszawa. Es bedeutete nicht, dass er sich dort aufhielt, aber vielleicht … mir lief ein Schauder über den ganzen Körper. Warszawa war der eine Ort, an dem es noch gefährlicher war als in Kraków. Und dann die Botschaft:
Hilfe ist unterwegs
. Die Worte hallten in meinem Kopf nach, bis meine Augenlider schwer wurden und ich in einen tiefen Schlaf sank.
    In dieser Nacht träumte ich, dass ich mit Jakub in den Bergen war. Es war bitterkalt und wir wurden von Wölfen durch den tiefen Schnee gejagt. Meine Füße konnte ich nicht mehr fühlen. Je schneller ich rannte, umso langsamer kam ich voran, bis ich mindestens hundert Meter hinter Jakub war, ohne dass er es bemerkte. “Jakub!”, schrie ich, doch der Abstand war zu groß, und er konnte mich nicht hören. Einer der Wölfe sprang mich an, ich fiel schreiend zu Boden.
    Im nächsten Augenblick saß ich aufrecht und hellwach im Bett. Eine Diele knarrte. Es ist nur ein Traum gewesen, sagte ich mir, und zog das Laken um mich. Ich legte mich hin, um wieder einzuschlafen, doch das wollte mir nicht gelingen. Auf der anderen Seite des Vorhangs schnarchte meine Mutter. Wieder knarrte eine Diele, diesmal etwas lauter. Plötzlich tauchte gleich neben meinem Bett ein Schatten auf. Ich schoss hoch, aber bevor ich einen Ton herausbekam, legte jemand seine Hand auf meinen Mund.
    “Ruhig!”, flüsterte der Fremde mir zu. “Ich bin nicht hier, um dir wehzutun.” In Panik versuchte ich mich aus seinem Griff zu befreien, doch der Mann war zu kräftig für mich. “Hör auf! Alek schickt mich.” In der Dunkelheit konnte ich das Gesicht des Fremden schwach erkennen. Er war der Mann, mit dem Alek und Marek nach dem Essen gestritten hatten. “
Emmeth”
, hauchte er so leise, dass ich ihn kaum hören konnte. “
Emmeth.”
Als ich Jakubs Codewort hörte, wurde ich etwas ruhiger.
    “Wer …?”, wollte ich fragen, als er seine Hand wegnahm.
    “Schhht. Wir haben keine Zeit. Zieh dich an.” Ich stand auf. Vielleicht hatte Alek ja einen Weg gefunden, mir zu helfen, überlegte ich, während ich meine Arbeitskleidung in aller Eile über mein Nachthemd zog. Womöglich brauchte Jakub mich. Ich schlüpfte in die Stiefel und streifte den Mantel über. Am Vorhang, der mein Bett von dem meiner Eltern trennte, hielt ich kurz inne und schob den Stoff zur Seite. Vater hatte einen Arm schützend um meine Mutter gelegt, beide schliefen tief und fest.
    “Komm”, flüsterte der Mann eindringlich und zog mich am Arm. Ich ließ den Vorhang los und verließ die Wohnung. Das Treppenhaus war dunkel, und jede Stufe knarrte, sobald wir darauftraten. Endlich hatten wir das Erdgeschoss erreicht und schlichen uns durch die Hintertür nach draußen.
    Der Fremde nahm meine Hand und führte mich durch die Gassen. Die vom Frost glatten Straßen waren menschenleer, nur einige große Ratten eilten zwischen den Rinnsteinen hin und her. Ein paar Minuten später gelangten wir in eine Ecke des Ghettos, die ich noch nie gesehen hatte. Mir fiel ein Riss in der Grenzmauer auf, nicht viel breiter als dreißig Zentimeter. Der Fremde sah verstohlen nach links und rechts, dann schob er mich vor sich her, bis mir klar wurde, dass ich mich durch den Spalt zwängen sollte. Ich atmete aus, bevor ich mich daran machte, durch das Loch nach draußen zu entkommen. Auf halbem Weg steckte ich auf einmal fest, und es ging nicht mehr weiter. “Ich hänge fest”, flüsterte ich in Panik. Es würde nicht lange dauern, und die Deutschen würden mich in dieser Falle steckend finden …
    Der Mann legte seine Hände an meinen Körper und drückte mich Zentimeter für Zentimeter weiter. Die schroffen Kanten der Mauersteine kratzten über meine Haut, und ich fürchtete, sie könnten meine

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