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Der Kommandant und das Mädchen

Der Kommandant und das Mädchen

Titel: Der Kommandant und das Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pam Jenoff
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Kleidung in Fetzen reißen. Dann aber kam ich frei und fand mich auf der anderen Seite der Mauer wieder. Schnaufend zwängte sich nun auch der Fremde durch den Spalt.
    Als er schließlich neben mir stand, packte er meinen Arm, zog mich hinter sich her um eine Hausecke und beobachtete dann wachsam die Straße. “Komm”, flüsterte er fast lautlos und deutete mit dem Kopf nach rechts. Mit kurzen, schnellen Schritten ging er los, dicht an den Gebäuden entlang und darauf bedacht, in ihrem Schatten zu bleiben. Ich folgte ihm so schnell und leise, wie ich nur konnte. Ich war so schockiert und verwirrt, dass ich meine Flucht aus dem Ghetto gar nicht bewusst wahrnahm.

5. KAPITEL
    W ortlos führte mich der Mann durch die menschenleeren Straßen von Podgorze. Ich hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten und mich genauso lautlos fortzubewegen. Meine Empfindungen wechselten immer wieder zwischen Bestürzung, Verwunderung darüber, mich außerhalb des Ghettos zu befinden, und der Angst, jeden Moment entdeckt zu werden. Allein schon unsere sichtbaren Atemwolken in der eiskalten Luft drohten uns zu verraten. Nach einer Weile säumten immer weniger Wohnhäuser die Straße und wichen schließlich den Fabrikhallen und Lagerhäusern. Aus der gepflasterten Straße wurde ein Feldweg, dann ein schneebedeckter, schmaler gewundener Pfad, der in den Wald führte.
    Erst als wir den Schutz der Bäume erreichten, sprach mich der Fremde wieder an. “Ich bin ein Freund von Alek”, sagte er und fügte nach einer Pause hinzu: “Und ein Freund von Jakub. Sie haben mich geschickt, um dich fortzubringen.”
    “Zu Jakub?” Vor Begeisterung wurde ich lauter.
    “Schht!”, machte der Fremde, blieb stehen und sah sich um. “Nicht zu ihm. Es tut mir leid.” Offenbar sah er mir meine Enttäuschung an. “Er wollte selbst herkommen, aber das wäre zu riskant gewesen.”
    Zu riskant. Alles war doch eigentlich zu riskant. “Wohin dann?”
    “Keine weiteren Fragen. Vertrau mir. Emmeth”, wiederholte er, als könnte seine Kenntnis unseres geheimen Codeworts einen Zauber bewirken, der mich gehorsam machte. “Es tut mir leid, dass wir so lange gehen müssen, aber alles andere würde zu viel Aufmerksamkeit erzeugen.”
    “Es tut gut, zu Fuß unterwegs zu sein”, erwiderte ich, obwohl sich meine Zehen bereits ein wenig taub anfühlten. Plötzlich jedoch blieb ich stehen. “Ich kehre nicht hierher zurück, oder?”
    “Nein.”
    Bestürzt flüsterte ich: “Aber meine Eltern …”
    “Sie werden eine Nachricht erhalten, dass du in Sicherheit bist. Aber es ist besser für sie, wenn sie so wenig wie möglich wissen.”
    Ich stellte mir meine Eltern vor, wie ich sie zum letzten Mal gesehen hatte: friedlich schlafend in ihrem Bett. Dann malte ich mir aus, wie sie aufwachten und feststellten, dass ich verschwunden war. Ich hatte keine Gelegenheit gehabt, mich von ihnen zu verabschieden. Eben machte ich den Mund auf, um zu erklären, ich würde meine Eltern nicht im Stich lassen, da ging der Fremde bereits weiter. Ich hatte keine andere Wahl, als ihm zu folgen, wenn ich nicht auf mich allein gestellt hier zurückbleiben wollte.
    Während ich tapfer einen Fuß vor den anderen setzte, erkannte ich, dass die Morgendämmerung allmählich einsetzte. Im Osten überzogen bereits feine Lichtstreifen den Nachthimmel. Ich sah mich in der mir fremden Umgebung um, bis ich auf einmal eine kleine hölzerne Kirche auf einer Lichtung entdeckte. Wir befanden uns in Las Wolski, dem Wald im Westen der Stadt. Damit war mir auch klar, wohin wir unterwegs waren. “Tante Krysia …?” Ich erinnerte mich daran, dass Jakubs Tante auf der anderen Seite von Las Wolski lebte. Der Mann nickte. “Aber werde ich sie nicht in Gefahr bringen?”
    “Es gibt Papiere für dich. Du wirst nicht mehr die gleiche Person sein.”
    Meine Gedanken überschlugen sich, ich war überwältigt von der Flut an Ereignissen. Aber mir blieb kaum Zeit, all die neuen Informationen zu verarbeiten. Der Fremde ging zügig weiter, und ich hatte Mühe, dicht hinter ihm zu bleiben, ohne dabei über Steine und Wurzeln zu stolpern.
    Während wir weiter durch den Wald liefen, versuchte ich mir das Gesicht von Krysia Smok vorzustellen. Ich war ihr das erste Mal bei einem Abendessen in der Wohnung der Baus begegnet, wenige Wochen vor meiner Heirat. Ich konnte mich noch gut erinnern, dass ich mich für den Anlass kleidete, als sei ich in ein Königshaus eingeladen. Krysia genoss in Kraków einen legendären Ruf,

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