Der Kommandant und das Mädchen
anderen Gäste, die aufgestanden sind, um ihn zu begrüßen, und führt ihn direkt zu mir. “Kommandant, darf ich Ihnen meine Nichte vorstellen? Anna Lipowski.”
Ich springe nervös von meinem Platz auf. Aus der Nähe betrachtet wirkt Kommandant Richwalder noch viel größer, mein Kopf reicht kaum bis an seine Schultern. Als seine große Hand meine umschließt, die ich ihm entgegengestreckt halte, scheint ein Stromschlag durch meinen Körper zu zucken, der mich schaudern lässt. Ich hoffe, er hat es nicht bemerkt. Mit einer fließenden Bewegung führt er meine Hand an seine vollen Lippen und berührt sie nur hauchzart. Zwar hält er den Kopf gesenkt, doch er lässt mich nicht aus den Augen. “
Milo mi poznac.”
Sein Polnisch ist etwas hölzern und von einem breiten deutschen Akzent geprägt, aber gar nicht mal so schlecht.
Meine Wangen beginnen wieder zu glühen. “Das Vergnügen ist ganz meinerseits”, erwidere ich auf Deutsch und kann den Blick nicht von ihm lösen.
Überrascht zieht der Kommandant die Brauen hoch. “Sie sprechen …?” Er führt seine Frage nicht zu Ende.
“Ja.” Mein Vater war in einem kleinen Dorf nahe der deutschen Grenze aufgewachsen und hatte mir, als ich ein kleines Mädchen war, die Sprache beigebracht. Angesichts der engen Verwandtschaft zum Jiddischen fiel es mir leicht, sie zu lernen. Als ich zu Krysia kam, schlug sie mir vor, meine Kenntnisse wieder aufzufrischen. Immerhin war es nur logisch, dass ein Mädchen aus Gdańsk wenigstens etwas Deutsch sprach.
“Herr Kommandant”, unterbricht uns Krysia. Allem Anschein nach widerstrebend nimmt dieser Mann den Blick von mir, um die anderen Gäste zu begrüßen. Dankbar dafür, dass ich nun allen vorgestellt wurde, verlasse ich das Zimmer und gehe in die Küche, um meine Fassung wiederzuerlangen. Was ist nur los mit mir? Ich schenke mir ein Glas Wasser ein und trinke einen kleinen Schluck. Dabei merke ich, wie meine Hände zittern. Es ist die ganze Situation, die dich nervös macht, sage ich mir, obwohl ich weiß, dass es mehr ist als das – schließlich hat keiner der anderen Gäste eine solche Reaktion bei mir ausgelöst. Aber keiner der anderen Gäste sieht auch nur annähernd so gut aus wie Kommandant Richwalder. Beim Gedanken an seinen Blick aus den stahlgrauen Augen zucke ich unwillkürlich zusammen und verschütte etwas von dem Wasser.
“Vorsicht”, sagt Elżbieta und versucht, mit einem trockenen Küchentuch die Wasserspritzer von meinem Kleid zu tupfen.
Es reicht
, ermahne ich mich.
Reiß dich zusammen. Er ist ein Nazi! Außerdem bist du eine verheiratete Frau. Es gehört sich nicht, so auf andere Männer zu reagieren.
Ich streiche mein Haar glatt und kehre zurück in den Salon.
Einen Moment darauf läutet Elżbieta eine kleine Glocke, und die Gäste erheben sich. Auf dem Weg ins Esszimmer versuche ich krampfhaft, mich an die Sitzordnung zu erinnern.
Lass mich neben dem alten Generalmajor sitzen
, bete ich inständig.
Oder neben der ständig nörgelnden Frau Ludwig. Bloß nicht neben dem Kommandanten!
Wenn ich den ganzen Abend neben ihm verbringen muss, dann werde ich kaum die Fassung wahren können.
Aber kaum habe ich mein Stoßgebet zum Himmel geschickt, muss ich feststellen, dass ich zwischen Generalmajor Ludwig zu meiner Linken und dem Kommandanten zu meiner Rechten sitze. Ich versuche, Krysias Blick auf mich zu lenken, die am Kopfende des Tischs sitzt, und hoffe, dass sie mich aus dieser Zwickmühle befreit. Doch sie unterhält sich angeregt mit Bürgermeister Baran und nimmt von mir keinerlei Notiz. “Erlauben Sie”, sagt der Kommandant und zieht meinen Stuhl zurück. Sein Geruch nach Kiefernnadeln hüllt mich ein, als er sich über mich beugt.
Elżbieta serviert den ersten Gang, eine Pilzsuppe mit viel Einlage. Meine Hand zittert, als ich den silbernen Löffel hebe, sodass er gegen den Suppenteller schlägt. Verstohlen wirft Krysia einen Blick in meine Richtung, während ich hoffe, dass niemand sonst etwas bemerkt hat.
“Und?”, fragt Generalmajor Ludwig über mich hinweg den Kommandanten. “Was gibt es Neues aus Berlin?” Ich bin dankbar, dass er mich nicht in diese Unterhaltung einbezieht. So kann ich wenigstens eine Weile schweigen.
“Wir sind an allen Fronten erfolgreich”, erklärt der Kommandant ruhig. Innerlich verkrampfe ich mich angesichts der Nachricht, dass die Deutschen offenbar Fortschritte machen.
“Ja, das Gleiche hörte ich auch von General Hochberg”, kommentiert Ludwig. An
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