Der Kommandant und das Mädchen
den Namen so fallen, als sei seine Bedeutung offenkundig. Daher wage ich nicht, ihn näher danach zu fragen.
Während wir essen, versuche ich meine Konzentration zu wahren, doch mein Kopf wird vom Alkohol immer schwerer. Es scheint, dass der Kommandant sofort nachschenkt, sobald ich einen kleinen Schluck getrunken habe. “Ihr Deutsch ist fast fehlerfrei”, bemerkt er, als wir das Hauptgericht beenden.
Ich zögere mit einer Erwiderung. Deutsch zu sprechen fällt mir mittlerweile fast so leicht wie Jiddisch, sodass ich beinahe vergessen habe, in welcher Sprache wir uns unterhalten. “Nun ja, in Gdańsk gibt es ja viele Deutsche”, bringe ich schließlich heraus.
“Sie meinen in
Danzig
!”, mischt sich Ludwig lautstark ein. Seine Bemerkung lässt die anderen Gäste mitten in ihren Unterhaltungen verstummen, alle sehen zu uns.
“Es tut mir leid”, entschuldige ich mich rasch. Mein Gesicht läuft rot an. “Es ist nur so … Gdańsk ist der Name, mit dem ich großgeworden bin.”
Für Ludwig ist das offenbar keine zufriedenstellende Antwort. “Nun, Fräulein”, redet er herablassend weiter. “Dann wird es dringend Zeit, dass Sie sich umgewöhnen.”
“Wissen Sie, Generalmajor, im Rahmen eines solch angenehmen Abends wollen wir besser nicht über Politik sprechen.” Der Kommandant sagt das leise, aber mit Nachdruck. So zurechtgewiesen wendet Ludwig seine aufdringliche Aufmerksamkeit Frau Baran zu, die links von ihm sitzt. Ich werfe dem Kommandanten ein dankbares Lächeln zu. “Es ist eine schöne Stadt, ganz egal welchen Namen man ihr gibt”, meint er in einem sanfteren Tonfall, als ich ihn bislang an ihm gehört habe.
“Da kann ich Ihnen nur zustimmen.” Erleichtert bewege ich die rechte Hand über meinen Teller, um nach dem Wasserglas zu greifen. Der Kommandant greift im gleichen Moment nach seinem Glas, und unsere Handrücken berühren sich kurz. Rasch weiche ich zurück, mein Gesicht läuft rot an, während er ebenfalls innehält. Sekundenlang spricht keiner von uns ein Wort, doch mir kommt es vor, als würde sich der Augenblick über viele Minuten ausdehnen.
“Ich liebe deutsche Schriftsteller”, weiche ich schließlich auf ein Thema aus, zu dem ich immer etwas beizutragen weiß.
Er stellt sein Wasserglas wieder auf den Tisch. “Tatsächlich?”
Elżbieta kommt zu uns und stellt sich links von mir hin, um meinen leeren Teller abzuräumen. Dadurch muss ich mich etwas nach rechts beugen und bin nur noch wenige Zentimeter vom Kommandanten entfernt. Abermals steigt mir sein Geruch in die Nase. “Ja”, antworte ich, nachdem Elżbieta gegangen ist und ich mich wieder gerade hinsetzen kann. “Schiller muss man einfach in seiner Muttersprache lesen.” Ich tupfe mit der Serviette meinen Mund ab. “Man wird ihm nicht gerecht, wenn man ihn in der Übersetzung liest.”
Der Kommandant nickt bedächtig, und zum ersten Mal an diesem Abend lächelt er. “Da muss ich Ihnen zustimmen.” Er schenkt uns beiden Wodka ein und hebt sein Glas, ich tue es ihm nach. “Auf die deutsche Literatur”, erklärt er und stößt mit mir an. Ich zögere, noch mehr zu trinken, da mein Verstand bereits ein wenig benebelt ist. Er jedoch leert sein Glas in einem Zug, und unter seinem wachsamen Blick bleibt mir keine andere Wahl, als einen großen Schluck zu nehmen.
“Sollen wir in den Salon gehen?”, schlägt Krysia vor, nachdem Elżbieta die Dessertteller abgeräumt hat. Im Salon serviert sie uns allen eine Tasse Tee. Ich lehne mich gegen den Türrahmen und halte die warme Tasse mit beiden Händen umschlossen. Da der Wodka und das sättigende Essen mich zu müde gemacht haben, um mich mit einem der Gäste zu unterhalten, entkomme ich in die Küche. “Kann ich behilflich sein?”, frage ich Elżbieta, die die Teller abwäscht, doch sie schüttelt nur den Kopf.
Als ich benommen in die Seifenlauge starre, wird mir klar, ich bin betrunken. So habe ich mich noch nie gefühlt. Der einzige Alkohol, den ich bislang zu mir nahm, war der koschere Wein am Schabbes und an den Feiertagen, der so süß ist, dass man nicht mehr als ein paar Schlucke hinunterkriegen kann. Ein-, zweimal habe ich etwas Wodka probiert, wenn ich mit Jakub zu Abend gegessen habe. Das hatte mir ein wohliges, warmes Gefühl bereitet, aber das hier ist anders. Meine Zunge fühlt sich dick und trocken an, kalter Schweiß steht mir auf der Stirn, und der Boden scheint sich unter mir zu drehen. “Elżbieta”, sage ich unsicher.
Sie dreht sich zu mir
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