Der Kommandant und das Mädchen
es überhaupt ins Verkaufsregal, wo sie erst spät am Tag als Letztes einen Käufer fanden. Aber jetzt ist das Backen eine Herausforderung, die ich gern annehme. Ich stelle mir vor, wie ich neben meinem Vater stehe und arbeite, während er das Brot mit sanften, fast magischen Berührungen knetet und formt. Mit seinen dicken Fingern konnte er auch den widerspenstigsten Teig in kunstvollste Formen bringen: Challah-Zöpfe, Hamantaschen für das Purimfest oder Obwarzanki, die knusprigen Kringel, die jüdische und nicht-jüdische Polen gleichermaßen mögen.
“Hier”, sagt Krysia später am Nachmittag und gibt mir ein in braunes Papier gewickeltes Päckchen. Wir befinden uns in der Küche, nachdem wir soeben einen letzten Rundgang durchs Haus gemacht haben, um zu überprüfen, ob auch alles in Ordnung ist. Ich sehe sie verständnislos an, dann lege ich das Päckchen auf den Tisch und öffne es. Zum Vorschein kommt ein neues Kleid, ein hellblaues Kleid mit einem zarten Blumenmuster.
“Das ist wunderschön”, freue ich mich, als ich es hochhalte. Bislang musste ich mich mit Krysias alten Kleidern begnügen, bei denen jedes Mal Ärmel und Saum umgenäht werden müssen, damit sie mir passen. Von klein auf habe ich anderer Leute Kleidung aufgetragen, oder aber sie war in Heimarbeit entstanden. Das hier ist mein allererstes Kleid, das in einem Geschäft für mich gekauft wurde. “Danke.”
“Gern geschehen”, erwidert sie und winkt ab, als sei das nicht der Rede wert. “Und jetzt mach dich fertig.”
Einige Stunden später gehe ich die Treppe hinunter. Das Haus wirkt wie verwandelt. Überall stehen Kerzen, unter Elżbietas wachsamen Blicken köchelt das Essen in den Töpfen auf dem Herd. Aus dem Grammofon ertönt leise klassische Musik. Ich glaube, in der Melodie eine von Marcins Aufnahmen zu erkennen.
Um viertel vor sieben kommt Krysia aus dem zweiten Stock nach unten. Sie trägt einen bis zu den Knöcheln reichenden burgunderroten Rock und eine weiße Seidenbluse, ihr Haar hat sie zu einem Knoten zusammengesteckt, was genau wie die schlichte Perlenkette ihren schlanken Hals betont. Sie sieht erholt aus, als würde ihr der Krieg gar nicht zu schaffen machen. Die Sorgen und die harte Arbeit der letzten Monate sind ihr nicht mehr anzusehen. “Du schaust reizend aus”, sagt Krysia, ehe ich die Möglichkeit habe, ihr ein Kompliment zu machen. Sie zupft eine Fluse von meinem Kragen und tritt dann ein paar Schritte zurück, um mein Kleid zu bewundern.
“Danke”, entgegne ich und werde wieder rot. Mit einem heißen Stab habe ich meine Haare zu Locken gedreht, die jetzt wie ein Wasserfall ausgebreitet auf meinen Schultern liegen. Das Kleid ist das wundervollste, das ich je getragen habe. “Ich wünschte …”, setze ich an, halte jedoch gleich wieder inne. Ich hatte sagen wollen, dass ich wünschte, Jakub könnte mich so sehen. Aber ich will Krysias gute Laune nicht trüben.
Verständnisvoll lächelt sie mich an. “Er würde sagen, dass es dich noch schöner macht, als du ohnehin schon bist.”
Freudestrahlend schaue ich Krysia an, dann gehen wir gemeinsam ins Esszimmer.
“Solche Gesellschaften sind immer eine hektische Angelegenheit”, erklärt sie, während sie über den Tisch greift, um den Orchideenschmuck zurechtzurücken. “Ganz gleich, wie sorgfältig ich plane und wie gut ich mich auf alles vorbereite, es gibt immer wieder Dinge, die man nicht im Voraus erledigen kann. Und das macht die letzten Stunden vor dem großen Abend so chaotisch.”
Ich nicke, als hätte ich genügend Gesellschaften gegeben, um zu wissen, was sie meint. In Wahrheit habe ich nur ein paar in Jakubs Begleitung besucht, und die konnten mich in keiner Weise auf das vorbereiten, was nun vor mir liegt. Heute Abend gebe ich mein Debüt als Christin Anna Lipowski, die Waise aus Gdańsk. Seit meiner Flucht aus dem Ghetto habe ich kaum einmal mit jemandem gesprochen, der nicht zu diesem Haushalt gehört, und der Gedanke an meinen bevorstehenden Auftritt mit völlig neuer Identität bereitet mir Angst. Im Geiste bin ich meine angebliche Vergangenheit wieder und wieder durchgegangen. Krysia hat sich in den letzten Wochen viel Mühe mit mir gegeben, damit mein Verhalten zu meiner Rolle passt. Außerdem hat sie mir geholfen, an der Aussprache verschiedener Begriffe zu feilen, damit ich etwas von dem für das nordwestliche Polen typischen Akzent annehme. Daneben erhielt ich von ihr Nachhilfeunterricht in Katholizismus und weiß nun über
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