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Der Kommandant und das Mädchen

Der Kommandant und das Mädchen

Titel: Der Kommandant und das Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pam Jenoff
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Podgorze und träume davon, wie ich mich davonstehle und meinen Eltern Essen ins Ghetto bringe.
    Obwohl ich in der Pause lieber alleine wäre, gesellen sich oft einige Sekretärinnen aus den anderen Büros zu mir – junge Polinnen, denen es offenbar egal ist, dass sie für die Nazis arbeiten. Sie sind nur froh, eine relativ sichere und angesehene Stellung zu bekleiden, die ihnen in diesen schlechten Zeiten ein festes Einkommen garantiert. “Gib nicht ihnen die Schuld”, höre ich meinen Vater das sagen, was er schon über die Juden geäußert hat, die im Ghetto für Ordnung sorgen. “Dies ist eine Zeit der Verzweiflung, und die Menschen tun alles, um zu überleben.” Trotzdem empfinde ich Verachtung für diese jungen Frauen, die sich wie Schulmädchen nur über Kleidung, Filme und Männer unterhalten. Sie sind völlig begeistert von den deutschen Offizieren, vor allem von meinem Vorgesetzten Kommandant Richwalder. Unablässig stellen sie mir Fragen, um mir etwas über ihn zu entlocken. Sie wollen wissen, ob er verheiratet ist, ob er eine Freundin hat, woher seine Narben stammen. “Ich weiß es nicht”, erwidere ich jedes Mal und versuche, es in einem bedauernden, nicht in einem wütenden Tonfall zu sagen. “Er ist ein sehr verschwiegener Mann.”
    Ich weiß, sie glauben mir nicht, und sie mögen mich auch nicht. Sie halten mich für eine Zugezogene, ich bin keine von ihnen. So wie Malgorzata beneiden sie mich um meinen Status, und sie lehnen die Art ab, wie ich aus dem Nichts aufgetaucht bin, um für einen der ranghöchsten deutschen Offiziere in Polen zu arbeiten. Sie fühlen sich übergangen, und einige von ihnen glauben sogar an eine Affäre zwischen dem Kommandanten und mir als Grund für meine Anstellung. “Die Freundin des Kommandanten”, hörte ich eine der Frauen in meiner ersten Arbeitswoche einer anderen zuflüstern. Oft frage ich mich, ob vielleicht Malgorzata diejenige ist, die solchen Tratsch über mich verbreitet. Aber ich hätte nichts davon, mir Feinde zu machen, also unterhalte ich mich weiter jeden Tag in der Pause und tue so, als würde ich nichts bemerken.
    Manchmal, wenn ich mit den anderen dasitze und ihren geistlosen Gesprächen lausche, möchte ich aufspringen und sie anschreien: “Wisst ihr denn nicht, dass es da drüben ein schreckliches Ghetto gibt? Ein Ghetto, in dem Menschen leiden und sterben, die ein Leben lang eure Nachbarn waren?” Natürlich verkneife ich mir solche Bemerkungen und komme auf nichts zu sprechen, was einen Hinweis auf meine Identität geben könnte. In Gesellschaft muss ich immer wieder an die Möglichkeit denken, jederzeit enttarnt zu werden. Mein Verstand sagt mir, dass das eher unwahrscheinlich ist. Meine Papiere sind in Ordnung, und niemand hier weiß etwas über mein früheres Leben. Solange mir nicht versehentlich ein jiddisches Wort rausrutscht oder ich jemandem begegne, den ich von früher kenne, ist meine Tarnung perfekt.
    Am Ende der ulica Grodzka in der Nähe des Marktplatzes bleibe ich vor einem kleinen Spielwarengeschäft stehen.
Etwas für Łukasz
, denke ich, während ich mir die Eisenbahnen und Puppen im Schaufenster ansehe. Als ich das Geschäft betrete, wird mir bewusst, dass ich gar nicht genau weiß, was ihm gefällt. Er ist immer so still und nimmt alles dankbar an. Wenn eine von uns ihm einen Kochtopf gibt, dann betrachtet er ihn wie ein wunderschönes Geschenk und spielt stundenlang damit. Ich sehe mich um, aber die Auswahl ist recht klein, und ich will ihm keine Spielzeugsoldaten kaufen. Da ich nicht zu spät nach Hause möchte, entscheide ich mich schließlich für Bauklötze und ein Holzpferd.
    Als ich mit meinen Einkäufen das Geschäft verlasse und die Straße überqueren will, spüre ich ein Kribbeln im Nacken und weiß sofort, ich werde beobachtet. Zwar werfe ich einen verstohlenen Blick über die Schulter, doch ich kann in der Menge, die jetzt nach Feierabend unterwegs ist, niemanden entdecken, der sich auffällig oder verdächtig verhält. Ich gehe weiter und mache mich auf den Weg zur Omnibushaltestelle.
    An der Ecke ist ein Obststand aufgebaut. Meine Hand spielt mit den letzten Münzen in meiner Tasche. Ich sollte etwas von dem Geld sparen, doch ich möchte Krysia auch etwas mitbringen, um ihr meine Dankbarkeit für all das zu zeigen, was sie für mich getan hat. Während ich noch die Auslage prüfe, stellt sich eine kleine Frau so dicht hinter mich, dass ich ihren warmen Atem im Genick spüre. “Die dunklen sind am

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