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Der Kommandant und das Mädchen

Der Kommandant und das Mädchen

Titel: Der Kommandant und das Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pam Jenoff
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unmöglich erscheinen lässt, dass meine Vorgängerin erst vor einem Monat gegangen ist. Die Bibliothekarin in mir bekommt die Oberhand, und ich beginne zu ordnen: erst geografisch, sodass es einen Stapel für Kraków und je einen Stapel für die umliegenden Regionen gibt. Zwei Stunden später habe ich Ordnung geschaffen, bislang aber kein Dokument entdecken können, das wirklich wichtige Informationen enthält. Mir drängt sich die Frage auf, ob der Kommandant noch über andere Kanäle Mitteilungen erhält.
    Für den Rest des Tages bekomme ich den Kommandanten nicht mehr zu sehen. Um fünf Uhr packe ich meine Sachen zusammen und gehe. Als ich im Bus sitze, lehne ich meinen pochenden Kopf gegen die Fensterscheibe. Ich fühle mich erschöpft, was weniger auf die Arbeit an sich als vielmehr auf meine Nerven zurückzuführen ist. Aber ich habe meinen ersten Tag im Hauptquartier der Nazis lebend überstanden.
    Kaum habe ich Krysias Haus betreten und meine Sachen abgelegt, da kommt Łukasz auf mich zugestürmt und klammert sich an meinem Bein fest. “Er hat dich den ganzen Tag über vermisst”, lässt mich Krysia wissen, nachdem ich den Jungen auf den Arm genommen habe. “Wir waren im Park, und ich habe versucht, mit ihm zu spielen, aber er hielt immer nur Ausschau nach dir.”
    Wir gehen in den Salon, ich setze mich hin und halte Łukasz ein Stück weit weg von mir, um ihm die blonden Locken aus dem Gesicht zu streichen. Seine Augen bewegen sich hektisch hin und her, und sein Griff um meinen Arm wird fester, als fürchte er, ich könnte ihn wieder verlassen. Der arme Kleine hat in seinem jungen Leben schon zu oft erfahren müssen, dass jemand aus dem Haus ging und nicht wiederkam. “Schhht”, mache ich besänftigend, drücke ihn wieder an mich und wiege ihn sanft hin und her. “Manchmal muss ich den Tag über weggehen,
kochany
, aber am Abend werde ich immer zu dir zurückkommen. Immer.” Er lockert seinen Griff nicht, sondern vergräbt den Kopf an meiner Schulter, gibt jedoch nach wie vor keinen Ton von sich.
    “Wie war es?”, fragt Krysia einige Stunden später, als wir gegessen haben und mit unseren Teegläsern ins Arbeitszimmer umziehen. Beim Abendessen hatte sich Łukasz unverändert an meinem Hals festgeklammert, und erst als er in meinen Armen fest eingeschlafen war, konnte ich ihn ins Bett legen.
    “Nicht allzu schlecht”, antworte ich zurückhaltend. Wie sollte ich ihr die Wahrheit sagen, dass es entsetzlich und auf eine sonderbare Art gleichzeitig aufregend war? Ich hasse es, von Nazis umgeben zu sein, trotzdem hat es mich begeistert, in einem so großen Büro in der Wawelburg zu arbeiten. Und dann ist da auch noch Kommandant Richwalder. Die Luft kommt mir wie elektrisiert vor, wenn er sich in meiner Nähe aufhält. Aber auch er ist ein Nazi, und etwas anderes als Hass und Abscheu für einen solchen Mann zu empfinden … beim bloßen Gedanken daran möchte ich mich in Grund und Boden schämen. Nach einer verlegenen Pause greife ich nach meiner Tasche und zeige Krysia den Dienstausweis, den mir Oberst Diedrichsen ausstellen ließ.
    “Ja.” Sie hält den Ausweis ins Licht und betrachtet ihn mit Kennerblick. “Das ist tatsächlich die höchste Zugangsberechtigung, die ein Pole bei den Deutschen bekommen kann. Unsere Freunde in Gdańsk haben ganze Arbeit geleistet, um deine dortige Vergangenheit zu belegen. Mit diesem Pass kommst du überallhin.”
    “Es gibt trotzdem Dinge, die ich nicht zu sehen bekomme”, erwidere ich. “Vertrauliche Dokumente sind tabu. Und das meiste andere, was ich zu Gesicht kriege, ist routinemäßige Korrespondenz.”
    “Keine Eile, meine Liebe. Du musst Geduld haben. Wenn der Kommandant dich erst einmal besser kennt, wirst du sein Vertrauen gewinnen. Dann wird er dich in Dinge einweihen, die er dir sonst nicht sagen würde.” Sie gibt mir den Ausweis zurück. “Ich werde das sofort Alek wissen lassen.”
    “Alek?” Ich stecke den Ausweis zurück in meine Tasche und sehe Krysia verwundert an. Ist er denn noch im Ghetto? Wie kann Krysia mit ihm Kontakt aufnehmen? Und steht sie vielleicht auch mit Jakub in Verbindung? Ich zögere, weil ich nicht zu viele Fragen stellen möchte. Wenn sie Neuigkeiten von Jakub hätte, würde sie es mich ganz bestimmt wissen lassen.
    “Ja, ich habe ihm schon die Nachricht von deiner höchst erfreulichen Anstellung in der Wawelburg zukommen lassen. Er glaubt, du könntest uns dort sehr von Nutzen sein.” Sie trinkt einen Schluck Tee und

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