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Der Kommandant und das Mädchen

Der Kommandant und das Mädchen

Titel: Der Kommandant und das Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pam Jenoff
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sieht aus dem Fenster, durch das man die Sonne beobachten kann, wie sie hinter Las Wolski versinkt. Nach einer kurzen Pause fährt sie fort: “Natürlich nicht sofort. In den ersten Wochen werden die Deutschen ein wachsames Auge auf dich haben. Genauso wie ihre polnischen Spitzel.” Bei diesen Worten verzieht sie verächtlich den Mund.
    “Ich weiß. Ich glaube, eine von denen habe ich bereits kennengelernt.” Als ich von Malgorzata berichte, sehe ich im Geiste wieder die Frau mit den gehässigen Gesichtszügen vor mir.
    Krysia tätschelt meine Hand. “Keine Sorge. Mach du erst einmal deine Arbeit, damit der Kommandant dich ins Vertrauen nimmt”, betont sie abermals. “In der Zwischenzeit werde ich bei Alek erfragen, was genau ihm eigentlich vorschwebt.”

8. KAPITEL
    A ls die Standuhr im Büro des Kommandanten fünfmal schlägt, nehme ich meine Sachen und gehe aus dem Vorzimmer in den Empfangsbereich. “Ich mache dann Feierabend”, sage ich zu Malgorzata, die mit einer weiteren ihrer Tabellen beschäftigt ist.
    “Auf Wiedersehen.” Sie sieht nicht von ihrer Arbeit auf, woraufhin ich kopfschüttelnd hinausgehe und mich frage, wie jemand so viel Energie in ein Projekt stecken kann, das niemanden sonst interessiert.
    Die Sonne steht noch hoch über den Türmen der Wawelkathedrale, während ich das Gelände verlasse. Anstatt so wie üblich direkt zum Abfahrtspunkt des Omnibusses zu gehen, biege ich in die ulica Grodzka ein, die zur Stadtmitte führt. Heute wurde mir mein Lohn ausgezahlt, sodass ich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder selbst verdientes Geld in der Hand halte. Ich möchte etwas Schönes für Łukasz kaufen, vielleicht auch etwas für Krysia.
    Es ist Montag, und heute arbeite ich bereits die dritte Woche für den Kommandanten. Ich kann es kaum fassen, wie schnell die Zeit vergangen ist. Die ersten Tage waren entsetzlich gewesen, meine Nerven machten mir so sehr zu schaffen, dass ich jedes Mal zusammenzuckte, wenn die Tür zu meinem Büro aufging. Meine Hände zitterten so sehr, dass ich auf der Schreibmaschine kaum eine Taste traf. Am Abend kehrte ich aschfahl und völlig erschlagen nach Chelm zurück. “Du musst lernen, Ruhe zu bewahren”, hatte mich Krysia freundlich ermahnt. “Sonst wirst du davon noch krank.” Ganz abgesehen davon, dass ich mich verraten werde, ergänzte ich im Geist. Malgorzata hatte mich in der ersten Woche wiederholt darauf angesprochen, wie blass ich aussähe.
    Schließlich hatte ich mich gezwungen, ruhiger zu werden, tief durchgeatmet und an die schönen Zeiten mit Jakub und meiner Familie gedacht. Inzwischen spielen mir meine Nerven nicht mehr ganz so übel mit, und ich beginne nicht zu zittern, wenn ich am Morgen zur Burg hinaufgehe. Aber es gibt einige Dinge, an die ich mich niemals gewöhnen werde. Immer noch meide ich den Blick auf die endlose Parade aus Hakenkreuzfahnen, die die Gänge der Burg säumen. Ich verlasse mein Büro nach Möglichkeit nur ein- oder zweimal am Tag, wenn ich zur Toilette oder in die Pause gehe. Ich fürchte mich vor der Begegnung mit anderen Angestellten, weil ich von ihnen unausweichlich mit einem begeisterten “Heil Hitler!” begrüßt werde. Und wenn es doch jemand zu mir sagt, muss ich ebenfalls die rechte Hand ausstrecken. Dann murmele ich etwas, das in den Ohren meines Gegenübers nach dem Hitlergruß klingt, aber in Wahrheit beliebiges Zeug ist. Mir fallen immer neue Variationen ein, manchmal sogar Schimpfworte, die mir noch vor einem Jahr niemals über die Lippen gekommen wären.
    Jeden Tag um die Mittagszeit nehme ich mein Essenspaket und setze mich auf eine Bank am Ufer. Die einstündige Pause verbringe ich damit, eine Zeitung zu lesen, die ich mir im Büro ausgeborgt habe, oder einfach nur aufs Wasser zu schauen, wie es unter der Eisenbahnbrücke hindurchfließt. Lange ist es her, dass ich unbeschwert an der Wisła sitzen konnte. Dieses einfache Vergnügen hatte ich für selbstverständlich gehalten – als ich in meiner Kindheit noch am Ufer spielte ebenso wie zu der Zeit, als ich mit Jakub hier spazieren ging. Nun sitze ich wieder hier, doch diesmal ist mir sehr deutlich bewusst, dass es mir eigentlich nicht zusteht. Mein Platz ist im Ghetto, denke ich und schaue zum gegenüberliegenden Flussufer, wo meine Familie und meine Nachbarn gefangen gehalten werden. Während sie dort festsitzen, kann ich jeden Mittag hier am Wasser verbringen und frisches Brot und einen Apfel genießen. Oft sehe ich übers Wasser in Richtung

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