Der Kommandant und das Mädchen
Arbeit nimmt ihn sehr in Anspruch, und seine Nichte fehlt ihm ganz schrecklich.” Ich lächle. Er meint mich.
Nachdem die Kellnerin uns den Tee gebracht hat, unterhalten sich Marta und Marek lautstark und amüsiert über irgendetwas Belangloses. Alek spricht mich währenddessen mit leiser Stimme an: “Von deinem Büro aus den Gang entlang kommst du zum Büro des Verwaltungsleiters Oberst Kirch. Er gibt die Passierscheine aus, mit denen man sich überall in der Stadt Zutritt verschaffen kann.” Ich nicke. Kirch hat auch den Ausweis unterschrieben, den ich an meinem ersten Tag erhielt. “An jedem Dienstagmorgen fahren Kirch und die anderen hochrangigen Offiziere für eine ausgiebige Besprechung zum Außenring. Seine Sekretärin nutzt diese Gelegenheit, um zum Friseur zu gehen oder Besorgungen zu machen. Wenn der Weg frei ist, kannst du bis in sein Büro gelangen. Der Schlüssel dazu ist mit Klebeband unter dem Schreibtisch seiner Sekretärin festgemacht.” Alek greift unter dem Tisch nach meiner Hand und überreicht mir etwas. “Das ist die Kombination für seinen Tresor. Lern sie auswendig und vernichte den Zettel anschließend. Im Tresor liegen Blanko-Passierscheine, die fortlaufend nummeriert sind. Nimm nie mehr als fünf oder sechs Stück in der Woche heraus. Achte immer darauf, dass es Scheine aus der unteren Hälfte des Stapels sind, damit ihr Fehlen nicht auffällt. Jeden Dienstagnachmittag kommst du nach der Arbeit her. Marek, ich oder sonst jemand, der dich erkennt, wird herkommen, um mit dir Tee zu trinken. Du wirst deine Tasche neben deinen Stuhl stellen, und wenn du gehst, erhältst du eine neue Tasche. Wenn du in der Woche kein Glück hattest oder wenn du das Gefühl hast, dass dich jemand verfolgt, kommst du nicht her. Wenn die Übergabe zu gefährlich ist, wird sich niemand mit dir treffen. Hast du verstanden?”
Ich schlucke, dann nicke ich. Alek will, dass ich Passierscheine für den Widerstand stehle.
Marek unterbricht seine Unterhaltung mit Marta und zischt mir zu: “Es ist unbedingt erforderlich, dass du die Scheine noch in dieser Woche bekommst! Wir brauchen …”
Alek hebt eine Hand und unterbricht ihn. “Nur wenn es sicher ist. Wir können keine Risiken eingehen.” Marek beißt sich auf die Lippe und sieht nach dieser Zurechtweisung woanders hin, während Alek sich wieder mir zuwendet und seine Hand auf meine legt. “Anna, ich werde dich nicht anlügen. Das ist ein gefährlicher Auftrag, so riskant wie alles in der Bewegung. Aber du wolltest uns helfen, und durch einen Glücksfall bist du in die einzigartige Position geraten, genau das zu tun.”
“Ja, ich verstehe”, entgegne ich rasch, obwohl mir noch gar nicht die Dimensionen dessen bewusst sind, was von mir erwartet wird.
“Es sollten immer nur zwei oder drei Passierscheine sein”, fügt er hinzu, wieder nicke ich. “Also gut.” Alek trinkt seinen Tee in einem Zug aus und steht auf, unmittelbar gefolgt von Marek. “Es war mir ein Vergnügen, die Damen wiederzusehen.” Marek tippt an seinen Hut, dann überqueren die beiden scherzend und lachend den Marktplatz.
“Ist er verrückt?”, flüstere ich Marta zu, als die beiden außer Hörweite sind. “Ich soll so etwas tun?”
Marta blinzelt mich überrascht an, und im gleichen Moment erkenne ich, dass es ein Fehler von mir war, Aleks Entscheidung infrage zu stellen. “Du hast ihn gehört. Du bist als Einzige in der Lage, so etwas zu erledigen.”
“Aber wieso ich? Ich bin doch nur eine …” Ich halte inne und suche nach dem richtigen Wort, um zu beschreiben, wie wenig ich mich dafür geeignet fühle.
“Was denn?”, gibt Marta zurück, wobei ihre Augen aufblitzen. “Nur ein kleines Mädchen?” Es ist das erste Mal, dass ich sie wütend erlebe. Ich will etwas erwidern, werde dann aber kleinlaut. Wie dumm muss ich mich anhören! Marta ist noch jünger als ich, und trotzdem begibt sie sich in Gefahr.
“Entschuldige”, murmele ich zerknirscht und drehe den Silberlöffel zwischen Daumen und Zeigefinger. “Ich habe nur das Gefühl, dass mir die nötige Erfahrung fehlt.”
“Keiner von uns ist dafür ausgebildet worden”, gibt sie tonlos zurück, ohne mich anzusehen.
“Ja, du hast recht. Ich kann mich nur noch einmal entschuldigen.”
Minutenlang sitzen wir schweigend da. Trotz der peinlichen Situation trinken wir weiter unseren Tee. Dieses Wiedersehen, das nur von so kurzer Dauer ist, erscheint mir so, als würde man dicht vor einem Feuer stehen und sich
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