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Der Kommandant und das Mädchen

Der Kommandant und das Mädchen

Titel: Der Kommandant und das Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pam Jenoff
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Ganz bestimmt würde sie mir ansehen, wie sehr ich mich schäme. Zum Glück funktioniert mein Plan, und das Büro ist noch leer. Ein Blick auf den Terminkalender bestätigt meine Erinnerung, dass der Kommandant den ganzen Tag über nicht im Haus sein wird. Zwar bin ich viel zu erschöpft, um meine Arbeit zu bewältigen, doch zumindest bleibe ich bis zum Feierabend in meinem Vorzimmer völlig unbehelligt.
    Als ich am Abend zu Krysia heimkomme, ist es im Garten auffallend ruhig. Normalerweise spielt sie um diese Zeit dort mit Łukasz, während sie auf meine Rückkehr wartet. Einen Moment lang überlege ich, ob das wohl die Revanche dafür ist, dass ich gestern Abend so spät zurückkam und mich heute Morgen in aller Frühe aus dem Haus geschlichen habe.
    Ich öffne die Haustür. “Hallo?” Keine Antwort. Irgendetwas muss passiert sein, überlege ich und stürme die Treppe nach oben. Dort stoße ich auf Krysia, die den in eine Decke gewickelten Łukasz in den Armen hält und aufgewühlt im Zimmer auf und ab geht. “Er ist krank”, erklärt sie und sieht mich mit großen Augen an.
    “Komm, ich nehme ihn.” Doch Krysia weicht zurück, als ich mich ihr nähere.
    “Wir können es uns nicht leisten, dass du auch noch krank wirst und nicht ins Büro gehen kannst”, erwidert sie kühl.
    “Krysia, bitte”, beharre ich und nehme das Kind an mich. Łukasz’ Gesicht ist blass, seine halb geschlossenen Augen haben einen glasigen Glanz. Die Stirn ist glühend heiß, schweißnasse Locken kleben auf seiner Haut. Doch was mich am meisten beunruhigt, ist sein Schluchzen. Normalerweise ist der Junge ruhig und genügsam, aber jetzt jammert er kläglich, und an seinen geröteten Augen erkenne ich, dass er den ganzen Tag lang geweint hat.
    “Er hat sich mehrmals übergeben, und er kann kein Essen bei sich behalten”, erklärt Krysia, während sie hinter mir steht und mir über die Schulter sieht. Mir macht Angst, dass sie so aufgelöst wirkt. Ihr sonst so perfekt frisiertes Haar ist wirr und zerzaust, das Kleid ist mit Flecken übersät. Und zum ersten Mal sehe ich in ihren Augen einen panischen Ausdruck.
    “Wie wäre es mit einem kühlen Bad, um das Fieber zu senken?”, schlage ich vor. Sie schüttelt nur ungeduldig den Kopf.
    “Das habe ich schon versucht.”
    “Na, dann machen wir es eben noch mal.” Ich wickle den Jungen aus der Decke und ziehe ihn aus, obwohl ich selbst nicht so recht weiß, was ich da tue. Krysia begibt sich wortlos ein Stockwerk höher und bereitet das Bad vor.
    Als ich Łukasz zur Treppe tragen will, bemerke ich aus dem Augenwinkel etwas leuchtend Rotes. Ich bleibe stehen und sehe, dass es sich um einen Strauß Rosen handelt, der mitten auf dem Tisch steht. Auch ohne Krysia zu fragen, weiß ich, von wem die Blumen kommen.
    “Ich habe es mit allen Hausmitteln versucht”, erklärt sie Minuten später, nachdem ich den Jungen in die Wanne gesetzt habe und etwas Wasser auf seinen Kopf träufele. Er weint jetzt nicht mehr, aber er fühlt sich immer noch so an, als würde er glühen.
    “Kinder werden krank, das ist ganz normal”, erwidere ich, ohne von meinen Worten überzeugt zu sein. Seit Łukasz bei uns ist, war er noch nie krank. Unwillkürlich kommt es mir so vor, als sei seine Erkrankung so kurz nach meiner Nacht mit dem Kommandanten kein Zufall. Bestimmt soll ich für meine Sünden bestraft werden.
    Das Problem besteht natürlich nicht nur darin, dass der Kleine krank ist – wir können ihn auch nicht zu einem Arzt bringen. Jüdische Jungen sind beschnitten, polnische Jungen dagegen nicht. Ein Doktor, der Łukasz untersucht, wird sofort seine wahre Identität erkennen. Es gibt keinen jüdischen Arzt mehr, an den wir uns wenden können, und wir kennen keinen polnischen Arzt, dem wir vertrauen können. Die Gefahr ist zu groß, dass er uns anschwärzt, weil wir den Jungen bei uns verstecken. Ich empfinde es als große Schande, dass Krysia all ihrer guten Kontakte und ihrer Verbindung zum Widerstand zum Trotz keinen vertrauenswürdigen Mediziner kennt.
    Als die Fingerspitzen des Jungen bereits runzlig werden, nehme ich ihn aus der Wanne und wickle ihn in frische Handtücher. Während ich ihn abtrockne, scheint er in einen unruhigen Schlaf zu sinken, wobei die Augen hinter seinen Lidern hin und her tanzen. Ich frage mich, wovon ein Kind in seinem Alter wohl träumt. In einem anderen Leben würde er in seinen Träumen unbeschwerte Erlebnisse verarbeiten können. So aber wird er sicherlich von

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