Der Kommandant und das Mädchen
geben. Schon wieder verkrampft sich mein Magen.
Ich benötige Stunden, bis ich Krysias Haus erreiche. Als ich dort ankomme, ist alles dunkel. Krysia und Łukasz schlafen tief und fest. Ob sie sich meinetwegen Sorgen gemacht haben, als ich nach Feierabend nicht nach Hause kam? Zwar habe ich am Morgen erwähnt, dass ich womöglich länger arbeiten würde, aber bis jetzt habe ich Krysia noch nichts von meiner “Mission” erzählt. Möglicherweise hat sie aber auf anderen Wegen davon erfahren. Sie scheint einiges mehr über die Bewegung zu wissen, als sie zugibt. Jedenfalls bin ich froh, dass sie schläft. Im Augenblick könnte ich mich ihren Fragen nicht stellen.
In meinem Zimmer angekommen, lasse ich mich erschöpft aufs Bett sinken. Alles tut mir weh, und ich möchte mir am liebsten den Schmutz und die Schmach vom Körper waschen. Stattdessen lege ich mich hin und ziehe die Decke über mich. Obwohl ich todmüde bin, kann ich nicht einschlafen, weil ich unablässig mit Schrecken an den Moment denken muss, da ich dem Kommandanten im Büro begegne. Ich werde ihm in die Augen sehen müssen, und beide werden wir wissen, was zwischen uns geschehen ist. Dabei muss ich den Eindruck erwecken, als wolle ich, dass es wieder geschieht. Vielleicht … ich versuche mir den Terminkalender auf meinem Schreibtisch vorzustellen. Morgen ist der 12. August. Mir fällt ein, dass der Kommandant den ganzen Tag am Außenring verbringt. Also werde ich ihn gar nicht zu Gesicht bekommen. Unendliche Erleichterung erfasst mich.
Doch dann halte ich mitten in meiner Freude inne. Der 12. August ist unser Hochzeitstag! Wie konnte ich das nur vergessen? Morgen ist es genau drei Jahre her, dass wir uns im Salon von Jakubs Eltern das Jawort gaben. Nach der Zeremonie und einem bescheidenen Mittagessen waren wir mit dem Zug nach Zakopane gereist, einer Kleinstadt sechzig Kilometer südlich von Kraków, eingebettet in die Berge der Hohen Tatra an der Grenze zwischen Polen und der Tschechoslowakei. Dort verbrachten wir unsere Flitterwochen, indem wir drei Tage in einem kleinen Gasthaus am Fuß der Berge blieben. Wir unternahmen lange Spaziergänge durch die Natur und durch die kleine, gemütliche Stadt. Ich hatte Jakub einen Pullover gekauft, den eine Bäuerin gestrickt hatte. Von ihm bekam ich eine Bernsteinkette.
Ich erinnere mich jetzt wieder, wie wir in diesen ersten gemeinsamen Nächten im Bett lagen. Ich wusste nur wenig über die Liebe, und Jakubs sanfte, wissende Berührungen ließen mich überlegen, ob er vor mir schon andere Frauen gehabt hatte. Er ging mit meiner Unerfahrenheit zärtlich und geduldig um, und er zeigte mir nie gekannte Freuden, die meine Wangen zum Glühen brachten.
Am letzten Tag unserer Flitterwochen fuhren wir mit der Seilbahn auf einen der Gipfel. Beim Blick über die Grenze in die Tschechoslowakei konnte ich nur staunen, da ich solch gewaltige Landschaftsbilder bis dahin nur von Gemälden kannte. Jakub drückte meine Hand und versprach mir: “Im Winter kommen wir wieder her, und dann bringe ich dir das Skifahren bei.”
Mir kommt das alles vor, als wäre es in einem anderen Leben gewesen. Ich frage mich, was wir an unserem Hochzeitstag unternommen hätten, wäre Jakub noch bei mir. Vielleicht eine erneute Reise nach Zakopane? Oder nur ein Picknick unten am Fluss? Ich seufze laut. Ich bin jetzt schon fast so viele Tage von ihm getrennt, wie ich sie an seiner Seite verbracht habe. Immer noch liebe ich ihn so sehr wie bei unserer Hochzeit, aber manchmal fällt es mir schwer, sein Gesicht klar und deutlich vor mir zu sehen. Und nun habe ich auch noch unsere Ehe verraten und mit einem anderen Mann geschlafen. Tränen laufen mir über die Wangen, als ich darüber nachdenke. Ich versuche mir zu sagen, dass ich es für Jakub tat – für ihn und für die Sache, an die er glaubt. Aber dieser Gedanke kann mich nicht trösten. Ich drehe mich auf die Seite und weine mich in den Schlaf.
Am nächsten Morgen stehe ich früh auf und mache mich auf den Weg zur Arbeit. Für Krysia lege ich einen Zettel hin, damit sie sich keine Sorgen um mich macht. Noch kann ich ihr nach dem gestrigen Abend nicht gegenübertreten. Während ich zur Haltestelle gehe, muss ich an den Kommandanten denken. In der Nacht hätte ich mir nicht vorstellen können, ihm noch einmal unter die Augen zu treten. Doch im Licht des neuen Tages weiß ich, mir bleibt gar keine andere Wahl. Ich hoffe, vor Malgorzata im Büro zu sein, damit ich nicht an ihr vorbei muss.
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