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Der Kommissar und das Schweigen - Roman

Der Kommissar und das Schweigen - Roman

Titel: Der Kommissar und das Schweigen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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Kluuge. Sogar ein agnostischer Kriminalkommissar, der auf dem letzten Loch pfiff.
    Scheiße, fasste Van Veeteren seine Gedanken zusammen und winkte nach der Rechnung. Hier sitze ich wie ein unschlüssiger Esel und brüte vor mich hin!
    Bei einem Fall, den es gar nicht gibt!
    Höchstwahrscheinlich jedenfalls nicht, fügte er insgeheim für sich hinzu.
    Das muss am Wetter liegen.
    Das muss an meinem hohen Alter und meiner zunehmenden Trägheit liegen.
    Er bezahlte und verließ das El Pino. Vielleicht konnte ein anständiges
Glas Wein die Koordinaten ein wenig klären. Ein Weißer natürlich, wenn man an die Temperaturen dachte, es war jetzt kurz nach halb neun, und die Hitze des Tages hing noch über dem Kleinmarckt, auf dem vereinzelte Touristen (vielleicht auch der eine oder andere Einheimische) in der zunehmenden Dämmerung spazieren gingen.
    Vielleicht ein Mersault? Oder nur ein einfaches Glas Riesling? Das wäre wahrscheinlich leichter zu bekommen.
    Er spürte, wie seine Laune sich bereits hob.
    Schließlich war er ja nur hergefahren, um die Wartezeit bis Kreta zu überbrücken. Christos Hotel, die Quelle der Jugend und dieses kastanienbraune Haar.
    Sonst nichts.
     
    Das Kino hieß Rymont, und allein die Existenz einer derartigen Einrichtung in Sorbinowo war ebenso überraschend wie die Programmgestaltung. Offenbar fand während des Sommers etwas statt, das unter der Bezeichnung »Qualitätsfilmfestival« fungierte, und als er entdeckte, dass in gut zwei Minuten die Vorführung von Chaos der Brüder Taviani stattfinden würde, gab es keinen Grund mehr zum Zögern.
    Er betrat den Saal in dem Moment, als das Licht heruntergedreht wurde, aber es blieb noch Zeit, den Rest des abendlichen Publikums zu begrüßen. Es bestand aus fünf Personen, bequem auf die hintersten Reihen verteilt: vier Herren und eine Dame – alle ein wenig in die Jahre gekommen, aber mit dem geläuterten, distinguierten Ausdruck im Gesicht, der bei echten Cineasten zu finden ist, wie Van Veeteren zufrieden feststellte.
    Mit einem Seufzer der Zufriedenheit ließ er sich ein paar Reihen weiter vorn niedersinken – eine Befriedigung, die nicht geringer wurde, als sich herausstellte, dass nicht eine Unze Reklame gezeigt wurde und der Hauptfilm exakt zur angegebenen Zeit begann.
    Es gibt immer noch Körnchen von Qualität in dieser Welt, dachte er. Sogar für ein blindes Huhn wie mich.

    Hinterher hatte es keiner der Besucher besonders eilig, den Saal zu verlassen. Zwei der Herren begannen sofort mit einem äußerst angeregten Gespräch über den Film. Sie zogen Vergleiche zu Pirandellos Texten und zu anderen Filmen des italienischen Brüderpaares, und Van Veeteren begriff, dass er nicht in irgendeine zufällige Gesellschaft geraten war. Als er aufstand, kam ein anderer Zuschauer auf ihn zu, ein etwas ergrauter Herr mit einer Aura voller Energie um sich.
    »Ein neues Gesicht in unserem Kreis. Meine Verehrung.«
    Er streckte die Hand aus, und Van Veeteren ergriff sie.
    »Przebuda. Andrej Przebuda. Vorsitzender des Filmclubs von Sorbinowo.«
    »Van Veeteren. Ich bin zufällig zu Besuch hier ...«
    Er kramte in seiner Erinnerung.
    »Das Leben ist eine einzige Aneinanderreihung von Zufällen.«
    »Ganz gewiss«, sagte der Hauptkommissar. »Zweifellos, ja ... es freut mich zu sehen, dass die Filmkunst auch außerhalb der großen Metropolen lebt.«
    »Tja«, nickte Przebuda, »man tut, was man kann, aber wie Sie sehen, sind wir nicht sehr viele ...«
    Er machte eine Geste zu den anderen hin.
    » ... und ganz blutjung sind wir auch nicht mehr.«
    Er lachte laut und strich sich entschuldigend mit der Hand über seinen fast kahlen Schädel.
    »Andrej Przebuda?«, kam es dem Hauptkommissar endlich in den Sinn.
    »Ja.«
    »Ich glaube, wir haben einen gemeinsamen Bekannten.«
    »Wirklich? Wen?«
    »W. F. Mahler.«
    »Den Dichter?«
    Van Veeteren nickte.
    »Er behauptet, Sie hätten seine Gedichte verstanden.«
    Przebuda lachte laut auf und nickte enthusiastisch. Er war sicher schon über die Siebzig, schätzte Van Veeteren. Die Intensität
seiner dunklen Augen schien aber zeitlos zwanzigjährig zu sein, und als der Hauptkommissar ihn näher betrachtete, erschien ihm seine Physiognomie ziemlich jüdisch. Ihm wurde klar – oder er ahnte zumindest –, dass er einem dieser seltenen Menschen gegenüberstand, die durch Leiden veredelt werden. Die durchs Feuer gegangen sind und dadurch gehärtet wurden, statt zu zerbrechen.
    Obwohl das natürlich nur eine

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