Der Kommissar und das Schweigen - Roman
hatte.
Weder Münsters noch Kluuges Gewährsleute.
Das war also das. Van Veeteren schob die Papiere zur Seite und wischte sich die Stirn ab. Schaute sich nach etwas Trinkbarem
um, aber offenbar gehörte es nicht zu den Gepflogenheiten von Polizeichef Malijsen, zufällig vorbeikommenden Besuchern etwas zu trinken anzubieten. Oder aber er hatte die Flaschen an irgendeinem sicheren Ort verschlossen, außer Reichweite von Urlaubsvertretungen und anderen mutmaßlichen Schmarotzern.
»Lichtscheu«, brummte der Hauptkommissar.
Ob er damit Jellinek oder Malijsen meinte, war nicht genau zu sagen. Vermutlich beide. Er seufzte. Nahm den Telefonhörer und wählte Kluuges Privatnummer, brach aber mittendrin ab. Der sollte lieber seine Kräfte seiner Familie widmen, entschied er.
Und so könnte Van Veeteren besser die Möglichkeit nutzen, die weiteren Pläne bei einem kalten Bier auf der Terrasse des Stadthotels mit sich selbst auszudiskutieren.
Falls denn überhaupt weitere Pläne notwendig waren.
Und – soweit es notwendig war – bei zwei Bieren. Die Terrasse des Stadthotels war für so einen Tag kein schlechter Ort, das war ihm schon klar geworden, als er morgens auf dem Weg zum Polizeirevier dort vorbeigekommen war. Ganz und gar nicht.
Er stand auf. Reinheit? dachte er – zum fünfzigsten Mal, seit er sich von Jellinek draußen in Waldingen verabschiedet hatte. Das Wort weckte auch an diesem Vormittag keine guten Assoziationen bei ihm.
Ich habe wohl schon zu lange im Schmutz rumgewühlt, dachte Hauptkommissar Van Veeteren.
Die beiden Männer waren dabei, Buschwerk an der Straße zu roden. Der Hauptkommissar hielt an und stieg aus dem Auto.
»Schönen Nachmittag. Heiß heute, nicht wahr?«
Der ältere Mann stellte die Motorsäge ab und bedeutete seinem Kollegen, das Gleiche zu tun.
»Heiß heute«, wiederholte der Hauptkommissar, nachdem ihm klar geworden war, dass sie kaum in der Lage gewesen sein konnten, seinen ersten Gruß zu verstehen.
»Kann man wohl behaupten«, sagte der Mann und legte die Säge ab.
»Mein Name ist Van Veeteren. Ich bin Kriminalbeamter. Ist es vielleicht möglich, Ihnen ein paar Fragen zu stellen?«
»Was? Ja ... ja, natürlich.«
Er streckte seinen Rücken und bedeutete dem Jüngeren, doch näher heranzukommen.
»Mathias Fingher. Das hier ist mein Sohn Wim.«
Beide reichten Van Veeteren die Hand, nachdem sie sie an der Hose abgewischt hatten.
»Worum geht es?«
Van Veeteren räusperte sich.
»Hrrm. Um Das Reine Leben.«
Falls Vater und Sohn Fingher überrascht waren, ließen sie es sich nicht anmerken.
»Ach, ja?«
»Haben Sie irgendwelchen Kontakt zu denen? Sie sind ja sozusagen die nächsten Nachbarn.«
»Tja«, sagte Mathias Fingher und schob seine dünne Schirmmütze in den Nacken. »Wie meinen Sie das?«
Offensichtlich war er derjenige, der dazu ausersehen war, die Konversation zu führen. Sein Sohn hielt sich abwartend im Hintergrund, während er Kaugummi kauend den Hauptkommissar betrachtete.
»Treffen Sie manchmal jemanden von dort?«
Fingher nickte.
»Ja, natürlich. Die kaufen Kartoffeln und Milch bei uns. Ab und zu auch Eier, Karotten und anderes Gemüse. Sie kommen jeden Abend, um es abzuholen.«
Aha, dachte Van Veeteren. Endlich ein direkter Kontakt.
»Und wer kommt?«
»Das ist unterschiedlich.«
»Was heißt das?«
»Es sind jedes Mal vier. Und dann dieser Jellinek.«
»Vier Mädchen jeden Abend?«
»Und Jellinek. Die Mädchen scheinen sich abzuwechseln.«
Van Veeteren überlegte.
»Unterhalten Sie sich manchmal mit ihnen?«
»Nein, nein, es wird nicht viel geredet. Warum fragen Sie das alles?«
Der Hauptkommissar legte einen Finger auf die Lippen, und das schien als Erklärung zu genügen. Wie immer. Auch wenn es möglicherweise mit dem Respekt vor den Vertretern des Gesetzes in Zusammenhang stand, so schienen die Leute das mit der Vertraulichkeit jedes Mal zu akzeptieren, als dürfte man das nicht in Frage stellen. Das war eine Beobachtung, die er schon häufiger gemacht hatte.
Dummheit gedeiht am besten im Geheimen, wie Reinhart zu sagen pflegte.
»Reden Sie über irgendetwas mit den Mädchen?«
Fingher dachte nach und schüttelte den Kopf.
»Nein, sie ... sie halten sich immer irgendwie im Hintergrund.«
»Im Hintergrund?«
»Ja, sie warten immer an der Pforte, während Jellinek regelt, was sie haben wollen. Ganz stille Mädchen, sie wirken irgendwie. . .«
»Ja?«
»Nun ja, ich weiß nicht. Aber man macht sich ja schon
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