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Der Kommissar und das Schweigen - Roman

Der Kommissar und das Schweigen - Roman

Titel: Der Kommissar und das Schweigen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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zu lernen.
    VV: Aber ihr ruft sicher ab und zu zu Hause an?
    CH: Wir rufen nicht an, weil ...
    BM: Wir schreiben Briefe, das geht genauso gut.
    VV: Dürft ihr nicht telefonieren?
    CH: Das dürften wir wohl schon, aber wir tun es nicht.
    VV: Wie heißt das Mädchen, das nur am Anfang hier war?
    CH: Wer? Was meinen Sie damit?
    BM: Ich finde, Sie sollten aufhören, so frech zu sein. Sie verdächtigen uns nur wegen allem Möglichen, von dem Sie gar keine Ahnung haben. Es ist feige, so mit uns umzugehen.

    VV: Warum sind keine Jungen in der Kirche?
    BM: Natürlich gibt es auch Jungen in dem Reinen Leben, aber nicht hier im Lager. Die haben ihr eigenes Lager. Ich glaube, jetzt wollen wir nicht länger mit Ihnen sprechen.
(Fünf Sekunden Schweigen. Stühlescharren.)
    VV: In Ordnung. Dann hören wir auf. Lauft davon und reinigt eure Seele und grüßt euren Jellinek und sagt ihm, er soll Jesaja 55:8 aufschlagen.
    BM: Was?
    VV: Es gibt ein Buch, das heißt die Bibel. Ich dachte, das kennt ihr.
    CH: Jesaja ...?
    VV: 55:8, ja. So, und nun lauft und reinigt euch!
     
    Er stellte das Band ab und lehnte sich schwer in die Kissen zurück. Blieb ein paar Minuten vollkommen unbeweglich liegen, während er versuchte, die Gefühle zu definieren, die in ihm wühlten.
    Oder zumindest eine Metaphorik dafür zu finden.
    Aber es gab keine. Nichts tauchte auf, und kein Gedanke kristallisierte sich heraus. Nur dieses Wort »Ohnmacht«, das ihm so langsam wie ein alter Bekannter erschien. Ein untröstlicher uralter Verwandter, der nicht sterben wollte und den man nicht hinauswerfen konnte – vielleicht gerade wegen der engen Beziehung nicht.
    Er seufzte. Stellte fest, dass die Bierflaschen bis auf den Grund geleert waren, und stieg aus dem Bett. Ging zum Fenster und schaute auf den See, auf dem die letzten Kanuten des Tages gerade dabei waren, am Steg anzulegen. Die Uhr zeigte ein paar Minuten nach halb zehn, und die Blautöne waren dabei, das Abendlicht in eine weiche Sommerfinsternis zu transponieren.
    Julinacht, dachte Van Veeteren. Wie hieß es noch in dem Lied? Man soll eine Sommernacht nicht verschlafen?
    Vielleicht nicht ganz dumm, der Gedanke, wenn man es recht bedachte. Ein kleiner Abendspaziergang und ein Glas Weißwein durfte er sich ja wohl gönnen.

    Und wenn es zu nichts anderem gut war, als dieses alte Gefühl hinunterzuspülen.
    Und um den Beschluss aufzuschieben, von hier wegzufahren.
    Denn eigentlich gab es natürlich keinen vernünftigen Grund mehr für ihn, diese vermeintliche Untersuchung fortzusetzen. Und seine Schuld gegenüber Malijsen konnte sicher hiermit als abgetragen angesehen werden – wie man es auch drehte und wendete. Irgendein rationaler Grund, weitere Attacken gegen das Waldingenlager anzuzetteln, war wohl kaum aufzutreiben. Wie sehr man es auch versuchte.
    Obwohl, da gab es diese Sache, auf die der alte Borkmann immer gern hinwies:
    Die Vernunft hat eine ältere Schwester, vergiss das nicht. Sie heißt Intuition.

12
    Als sie den Körper schließlich fand, war die Sonne schon lange untergegangen. Die Dunkelheit zwischen den Nadelbäumen war immer dichter geworden, und einen verwirrenden Augenblick lang überlegte sie, ob es sich nicht vielleicht um eine Art optische Täuschung handelte. Eine bizarre Luftspiegelung, dieses plötzlich zum Vorschein kommende weiße Mädchenfleisch, das ihr unter dem Gestrüpp entgegenleuchtete – und das vielleicht gleich wieder verschwunden war, wenn sie nur einmal mit den Augen zwinkerte.
    Aber sie zwinkerte nicht mit den Augen. Die innere Stimme, die sie hierher geführt hatte, ließ es nicht zu, dass sie die Augen schloss. Sie ließ nur zu, dass sie handelte und das Unbegreifliche ausführte, das ihr aufgetragen worden war.
    Das absolut Zwingende.
    Woher kam sie eigentlich, diese Stimme, die sie immer weitertrieb? Sie wusste es nicht, aber vermutlich war sie die einzige Kraftquelle, die sie in diesem Albtraumspiel, in dem sie
verfangen war, besaß. Das Einzige, was sie auf den Beinen hielt und was sie dazu brachte, die notwendigen Schritte zu tun. Es musste sich um etwas handeln, das tief in ihrer Seele verankert war, eine Seite an ihr, die sie im Alltag oder früher nie hatte benutzen müssen, die aber jetzt bereit stand und dafür sorgte, dass das, was getan werden musste, auch wirklich ausgeführt wurde. Eine Art Reserve, dachte sie, ein unbekannter Brunnen, aus dem sie Kraft schöpfen konnte, auf den sie aber später – irgendwann in ferner Zukunft, gebe Gott,

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