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Der Kommissar und das Schweigen - Roman

Der Kommissar und das Schweigen - Roman

Titel: Der Kommissar und das Schweigen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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Traditionen haben, vielleicht haben sie dann auch das Recht, befriedigt zu werden. Wie läuft das? Zwei von drei Nächten?«
    »Ich glaube, eine von zweien«, bemerkte der Hauptkommissar. »Es gibt da unterschiedliche Richtungen. Aber du hast nicht zufällig die Namen der Frauen, die letztes Jahr dabei waren?«

    Andrej Przebuda hob eine Augenbraue. Und danach sein Weinglas.
    »Warum fragst du?«
    »Ach, nur so eine Idee«, antwortete der Hauptkommissar.
    »Na gut, sehen wir mal nach«, sagte Przebuda. »Aber erst einmal Prost.«
    »Prost«, sagte Van Veeteren.
    Przebuda stand auf und ging zu dem riesigen Schreibtisch hinüber, der eine Ecke des Zimmers umfasste und sicher bis zu vier Quadratmeter einnahm. Er schaltete eine weitere Lampe ein und begann in einem Haufen roter und grüner Mappen zu suchen, die meterhoch an der Wand gestapelt waren. Nach einer Weile kam er mit einer Mappe zurück und zog ein Bündel ungeordneter Papiere aus ihr hervor.
    »Jetzt werden wir mal sehen«, sagte er und holte eine Brille aus seiner Brusttasche. »Ich glaube, ich hatte kein großes Interesse an ihnen, aber ich habe ein paar Fotos von ihnen gemacht. . . ja, da haben wir sie.«
    Er zog ein Foto aus dem Stapel. Betrachtete es ein paar Sekunden lang kritisch, bevor er es Van Veeteren reichte. Der Hauptkommissar sah sich das Foto an. Es war offensichtlich draußen auf der Terrasse vor dem Hauptgebäude des Ferienlagers gemacht worden. In der frühen Abendsonne, nach Licht und Schatten zu urteilen. Oscar Jellinek lehnte sich leicht gegen das Geländer und war umgeben von vier Frauen – zwei auf jeder Seite. Trotz ihrer relativen Unscheinbarkeit konnte er problemlos drei davon als jene identifizieren, mit denen er sich am gestrigen Tag unterhalten hatte. Aber links von Mathilde Ubrecht, eine Hand auf Jellineks Schulter gelegt, stand eine dunkelhaarige, unbekannte Frau. Sie erschien etwas jünger als die anderen, und im Unterschied zum Rest der Gruppe erlaubte sie sich, direkt in die Kamera zu lächeln. Ohne Frage war sie außerdem die Schönste in der Gruppe.
    »Hm«, sagte der Hauptkommissar. »Ihre Namen hast du nicht?«

    »Vielleicht doch«, erwiderte Przebuda. »Steht denn nichts auf der Rückseite?«
    Van Veeteren drehte das Foto um und las:
    »V. l.: Ulriche Fischer, Madeleine Zander, OJ., Ewa Siguera, Mathilde Ubrecht«.
    Ewa Siguera? dachte er und trank von seinem Wein. Das klingt ja wie eine Romanfigur.
    Przebuda hatte seine Pfeife wieder zum Brennen gebracht und stieß ein paar schwere Rauchwolken aus.
    »Tja«, sagte er. »Ich habe wohl damals schon beschlossen, das nicht zu verwenden. Wonach fischst du eigentlich?«
    Der Hauptkommissar dachte eine Weile nach, während er blinzelnd das Foto weiter studierte.
    »Keine Ahnung«, sagte er. »Es ist wohl nur so eine Art avantgardistisches Wissen, wie ich annehme.«
    »Ja, ja«, lachte Przebuda. »Aber vielleicht sollten wir auch noch einen Blick auf die Papiere werfen. Ich habe da einiges über Jellinek, wenn ich mich recht erinnere. Obwohl ich nicht glaube, dass ich mir irgendwelche Notizen hinsichtlich Menschenraub gemacht habe. Aber das Ungeschriebene ist sicher das Beste ... übrigens, wollen wir uns nicht noch eine Flasche Wein genehmigen?«
    »Bei dieser Hitze wird man wirklich durstig«, stimmte Van Veeteren zu.
    »Religion ist eine Sache mit vielen Facetten«, stellte Andrej Przebuda nach einer Weile fest. »Ich persönlich habe sie hinter mir gelassen, aber ich kann nicht behaupten, dass sie nicht ihre Spuren hinterlassen hat ...«
    Van Veeteren wartete.
    ». . . meine Eltern, meine ganze Familie bestand aus bekennenden Juden. Als sie Unheil witterten und begriffen, was wirklich auf sie wartete – mein Vater war vermutlich der Klarsichtigste in der gesamten mosaischen Versammlung –, haben sie mich und meine Schwester bei einer katholischen Familie in einem kleinen Dorf draußen auf dem Lande untergebracht. Die haben uns dort auf ihrem Bauernhof vier Jahre lang versteckt,
wir waren die einzigen beiden Überlebenden unserer gesamten Familie ... ironischerweise nicht einmal fünfzig Kilometer von Auschwitz entfernt. Ja, und später habe ich eine Frau aus Indien geheiratet, sie ist vor sechs Jahren gestorben und liegt auf dem protestantischen Friedhof hier in Sorbinowo begraben.«
    Der Hauptkommissar nickte.
    »Kinder?«, fragte er.
    »Eine Hand voll«, erklärte Przebuda. »Nicht mehr und nicht weniger. Elf Enkelkinder. Aber wie gesagt, mit der Religion habe

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