Der Kommissar und das Schweigen - Roman
es genau diese Katarina war, auf die sich die anonyme Frau in ihren beiden ersten Telefonanrufen bezogen hatte.
Zu allem Überfluss war es ihm auch noch nicht gelungen, einen Kontakt mit den Eltern herzustellen. Offenbar waren sie irgendwo in Frankreich mit dem Auto unterwegs – aber falls Katarina einfach nur aus dem Lager weggelaufen war, konnte es natürlich auch sein, dass sie ganz einfach im gleichen Auto wie ihre Eltern saß. Oder in einem Haus oder einem Liegestuhl. In Brest, in Marseille oder wo verdammt noch mal auch immer. Vielleicht ja auch in Lourdes, warum eigentlich nicht?
Servinus hatte Kontakt mit der französischen Polizei aufgenommen, die versprochen hatte, nach dem betreffenden Paar und dem dazugehörigen Auto Ausschau zu halten, aber Servinus hatte schon früher mit den gallischen Kollegen zu tun gehabt und war nicht besonders optimistisch hinsichtlich der Ergebnisse.
Auf jeden Fall gab es Hinweise, die darauf hindeuteten, dass das Mädchen durchaus Gründe gehabt haben könnte, wegzulaufen. Aber wie schlagkräftig diese Hinweise eigentlich waren, das hatte Kluuge bis jetzt noch nicht für sich entscheiden können. Und sonst auch niemand. Vermutlich handelte es sich hierbei auch nur um reines Wunschdenken – sowohl die Nachbarn
als auch die Bekannten und Verwandten der Familie Schwartz waren fest davon überzeugt gewesen, dass sich keine Katarina im Auto befunden hatte, als es letzte Woche Richtung Südwesten losgefahren war.
Aber rein zeitlich wäre es natürlich möglich gewesen. Und wenn die Tochter plötzlich und vollkommen unverhofft am Abend vor der Abreise daheim aufgetaucht war, ja, dann war es natürlich nicht undenkbar, dass sie mitgefahren war, ohne dass jemand Außenstehendes davon etwas mitbekommen hatte.
Und dann wäre also nur ein Mord aufzuklären.
Was weiß Gott schlimm genug war.
Während er im Auto saß, schwitzte und viel zu schnell auf der kurvigen Straße fuhr, kam ihm auch der Gedanke, dass all diese Verhöre, die vielen Telefongespräche und Maßnahmen hier und da nur eine Art sich selbst befriedigende Funktion zu haben schienen. Sie belegten einfach ungemein viele Ressourcen und Energie und führten eigentlich nirgendwo hin.
Eher im Kreis herum. Das Wenige, was man herausfand, war meist etwas, was man sich schon vorher gedacht hatte. Wann und wie er Zeit und Kraft finden sollte, sich hinzusetzen und über das Mordrätsel an sich nachzudenken, das konnte er überhaupt noch nicht sehen.
War das immer so? wunderte er sich im Stillen. Bei allen Ermittlungen?
Merwin Kluuge seufzte noch einmal und schaute auf die Uhr.
Viertel vor zwei.
Es blieben noch zwanzig Minuten Zeit für Deborah. Höchstens eine halbe Stunde.
Freitag muss ich Blumen kaufen, dachte er. Heute schaffe ich es jedenfalls nicht mehr.
Ungefähr zum gleichen Zeitpunkt, als Merwin Kluuge behutsam – aber vielleicht nicht ganz so behutsam wie sonst – über den Bauch seiner Ehefrau und seinen noch ungeborenen Sohn
strich, verließ Van Veeteren Elizabeth Heerenmacht, damit sie von ihrer ermordeten Nichte unten im Kühlraum des Sorbinowoer Krankenhauses Abschied nehmen konnte, wohin der übel zugerichtete Körper erst vor kurzem nach zweieinhalb Tagen in der Gerichtsmedizin von Rembork gebracht worden war.
Elizabeth Heerenmacht gehörte nicht zur Kirche Das Reine Leben, doch nachdem der Hauptkommissar eine halbe Stunde in ihrer Gesellschaft zugebracht hatte, verstand er nicht mehr so recht, warum eigentlich nicht. Zumindest schien sie die geeignete Kandidatin dafür zu sein, das war der düstere Schluss, zu dem er leider kam.
Aber vielleicht war er an diesem finsteren und heißen Tag auch nicht sehr gerecht. Es war nicht einfach, keine Vorurteile zu bekommen, wenn zuerst der Schweiß nur so in Strömen floss, dann unten im Leichenkeller zu Eis gefror und dann wieder zu dampfen begann, als er sich erneut in die Sonne begab.
Früh am Morgen hatte er einen Teil seiner Zeit für eine andere Frau verwandt – die rätselhafte Ewa Siguera. Zumindest wollte er sich einreden, dass sie ein Rätsel war ... dass über ihr tatsächlich so viel Mystik lag wie über ihrem Namen und ihrem Lächeln auf dem Foto, das Przebuda von ihr letzten Sommer gemacht hatte.
Was Quatsch war, wie er später in einem Augenblick harter Selbstkritik eingesehen hatte. Das klang wie aus einem schlechten Roman.
Aber das war ja auch kein Wunder, dachte er weiter. Je weniger Kontakt man mit dem anderen Geschlecht hatte,
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