Der Kommissar und das Schweigen - Roman
wie du siehst ... aber wenn du wieder einmal einen Doktor Watson brauchst, stelle ich natürlich gern mein kleines Gehirn zur Verfügung.«
»Man dankt«, sagte Van Veeteren. »Ja, zwei kleine Gehirne sind auf jeden Fall besser als eins.«
Die beiden verabschiedeten sich, aber noch bevor Andrej Przebuda fünf Schritte zum Kleinmarckt getan hatte, hielt er noch einmal inne.
»Ach übrigens, glaubst du, dass du den Fall lösen kannst?«, fragte er. »Löst du eigentlich immer deine Fälle?«
»Die meisten«, sagte Van Veeteren.
»Aber es gibt ungelöste?«
»Einen«, erklärte der Hauptkommissar. »Lass uns lieber nicht darüber reden. Jeder Tag bringt neue Sorgen ... wie gesagt.«
»Natürlich«, sagte Przebuda, und Van Veeteren meinte hören zu können, wie er im Dunkeln lachte. »Gute Nacht, Herr Hauptkommissar. Mögen die Engel dich in den Schlaf singen.«
Nein, dachte dieser verbissen, als der Redakteur verschwunden war. Jetzt bloß nicht auch noch über den Fall G nachdenken. Es ist nun mal so, wie es ist.
Als er durch die milchweißen Glastüren von Grimm’s Hotel trat, hatte ihn die schlechte Laune eingeholt.
Ich hätte andere Sachen ansprechen sollen, dachte er. Hätte mein Augenmerk auf etwas anderes richten sollen.
Auf Katarina Schwartz zum Beispiel. Oder Ewa Siguera. Oder potenzielle Gewalttäter in der Umgebung. Verdammt, er hatte doch trotz allem einiges vorzubringen!
Aber vielleicht war seine Selbstkritik auch gar nicht berechtigt. Schließlich war das Verschwinden des Schwartz-Mädchens bis jetzt – nach fast einer Woche im Rampenlicht – immer noch eine Tatsache, die den Journalisten verborgen geblieben war. Das hatte vermutlich mehr mit Glück als mit Geschick zu tun, und außerdem stellte sich natürlich die Frage, ob es eigentlich viel Sinn hatte, es nicht bekannt werden zu lassen. Konnte sein, konnte aber auch nicht sein.
Und von der französischen Polizei hatte er nichts gehört.
Flaute, dachte der Hauptkommissar (der nur zweimal in seinem Leben in einem Segelboot gesessen hatte – beide Male zusammen mit Renate). Während dieses ganzen Samstags hatte es nicht die geringste kleine Brise in Sorbinowo gegeben, und der Fall hatte sich auch keinen Millimeter weit bewegt.
Flaute, wie gesagt.
Er erinnerte sich an die suggestive Stille gestern draußen bei Wolgershuus und begriff, dass die Frage nach Aufhören und Tod mehr Aspekte in sich barg, als man sich normalerweise eingestand.
Madeleine Zander und Ulriche Fischer! dachte er dann voller Abscheu, während er vor der Rezeption stand und auf seinen
Schlüssel wartete. War es wirklich so schlimm bestellt, dass er sich mit denen auch noch beschäftigen musste?
Und als der junge Nachtportier endlich auftauchte, stellte sich heraus, dass es noch einen Frauennamen gab, der seine Pläne durchkreuzte.
Wenn auch auf ein wenig andere Art und Weise.
Reinhart hatte nämlich eine Mitteilung geschickt. Sie lautete kurz und präzise:
Es gibt nicht eine einzige Ewa Siguera im ganzen Land.
Soll ich mit dem Rest der Welt weitermachen?
Van Veeterens Antwort war im Großen und Ganzen genauso stringent:
Europa reicht. Schon mal danke im Voraus.
Nun ja, dachte er, als er ins Bett gekommen war. Eigentlich kann ich genauso gut weitermachen wie geplant.
25
Das zweite Opfer des Sektenmörders – wie ihn mehrere Zeitungen später bezeichnen würden – wurde am Sonntagmorgen gegen sechs Uhr von zwei Pfadfindern gefunden, einem sechzehnjährigen Jungen und einem fünfzehnjährigen Mädchen, die sich auf einem größeren Marsch durch die Wälder nordwestlich von Sorbinowo befanden. Auf den eindringlichen Wunsch der beiden hin wurde nie bekannt, warum sie sich eigentlich zu diesem Zeitpunkt mehr als vier Kilometer vom Lager entfernt aufgehalten hatten, aber Polizeichef Kluuge – der wiederum als Erster am Ort eintraf – hatte natürlich so seine Vermutungen.
Die Leiche des jungen Mädchens lag unter einem Berg von Gestrüpp und trockenen Ästen ungefähr zwanzig Meter von
dem kleinen Pfad entfernt, der von Waldingen nach Limbuis und Sorbinowo führte, und der Abstand zum ersten Gebäude des Ferienlagers betrug nicht mehr als gut hundertfünfzig Meter. Die Entfernung zwischen dem neuen und dem alten Fundort wurde später als ungefähr das Dreifache vermessen. Vielleicht konnte man mit Fug und Recht behaupten, dass der Suchtrupp, der nach dem ersten Mord zwei Tage lang die Gegend durchkämmt hatte, den Körper eigentlich hätte finden
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