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Der Kommissar und das Schweigen - Roman

Der Kommissar und das Schweigen - Roman

Titel: Der Kommissar und das Schweigen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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müssen – und vielleicht, so dachte Kluuge übergangslos, vielleicht hatte die ungewöhnlich blasse Gesichtsfarbe des Pfadfindermädchens ihren Grund darin, dass sie nur schwer vergessen konnte, was sie da vor sich gehabt hatte im Schutz des betreffenden Gestrüpphaufens.
    Dieser Eindruck drängte sich ihm jedenfalls auf, als er sie ansah, und er wusste auch, während sie alle drei auf einem Stapel Baumstämmen saßen und darauf warteten, dass das Ärzte-und Spurensicherungsteam ankommen würde, und Zeugen wurden, wie die Sonne über dem Wald für einen neuen Tag aufging, dass diese vollkommen unwichtigen Spekulationen nur in seinem Kopf auftauchten, um andere Gedanken in Schach zu halten. Wenn er Katarina Schwartz, die fast zwei Wochen in Form eines toten Körpers, reduziert auf chemische Prozesse, hier im Wald zugebracht hatte, mit dem Bild des lachenden jungen Mädchens mit blonden Zöpfen verglich, das er in seiner Brieftasche hatte, dann gab es keinen Zweifel, dass seine Gedanken alle Ablenkung der Welt brauchten, die sie nur finden konnten.
    Ich werde alt, dachte er. Obwohl es noch nicht einmal eine Woche her ist, seit ich erst erwachsen geworden bin.
     
    Die ersten Informationen aus einem einigermaßen zusammengefassten Gutachten waren kurz nach ein Uhr am Nachmittag zu lesen. Sie gaben bekannt, dass es sich bei der Toten um eine gewisse Katarina Emilie Schwartz handelte, dreizehn Jahre alt und wohnhaft in Stamberg. Sie war vergewaltigt (keinerlei Spuren von Sperma) und erwürgt worden, wies ungefähr die
gleiche Art von Misshandlungen wie das erste Opfer, Clarissa Heerenmacht, auf und hatte wahrscheinlich ihren Mörder vor zwölf bis sechzehn Tagen getroffen. Am Fundort oder in dessen Nähe war keine Kleidung – auch keine Reste – gefunden worden, und es wurde als sehr wahrscheinlich angesehen, dass das Mädchen an einem anderen Ort umgebracht worden war als dort, wo es gefunden wurde. In der Pressemitteilung, die am Nachmittag verschickt wurde, wurden alle bekannten Umstände des tragischen Funds mitgeteilt – abgesehen von der Tatsache, dass die Polizei bereits früher gewisse Kenntnisse hinsichtlich des Verschwindens des Mädchens gehabt hatte.
    Zeitgleich mit der Pressemitteilung wurden zwei Suchmeldungen herausgegeben.
    Eine erneute nach dem Sektenführer Oscar Jellinek.
    Eine neue nach den Eltern des Mädchens.
     
    Zufällig traf am gleichen Nachmittag zu einem etwas späteren Zeitpunkt auch noch ein Fax der französischen Polizei ein – man hatte Herrn und Frau Schwartz in einem so genannten gîte auf einem Bauernhof in der Bretagne gefunden –, und bevor die Sonne an diesem langen Sonntag über Sorbinowo unterging, hatte das arme Paar bereits seine Heimreise angetreten, um so bald wie möglich den irdischen Überresten seiner Tochter gegenüberzustehen.
    Und als die alte Frau Grimm – Hotelbesitzerin und eigentlich gleichgültig gegenüber allem, was nicht mit Königlichen Hoheiten oder böhmischem Porzellan zu tun hatte – noch später am Abend ihre Gästeliste durchging, konnte sie zum einen feststellen, dass das Haus voll belegt war, zum anderen, dass die Anzahl der Übernachtenden, die »Journalisten« oder verwandte Berufsbezeichnungen in der Rubrik des Berufs angegeben hatten, auffallend groß war.
    Was Herrn Van Veeteren betraf (Uhrmacher und Horologe), der seit zehn Tagen in Zimmer Nummer 22 wohnte, so war er auch um Mitternacht noch nicht von seinem Ausflug wiedergekehrt, auf den er sich am Vormittag begeben hatte.

    Aber da er den größten Teil seiner Habe im Zimmer zurückgelassen zu haben schien, hegte sie keine Befürchtungen, er könnte stiften gegangen sein und würde nicht zurückkommen, um seine Rechnung zu bezahlen.
    Überhaupt hatte er auf sie den Eindruck gemacht, doch ein ehrenhafter Bursche zu sein.

V
28. – 31. Juli

26
    Die ersten zehn Kilometer fühlte er sich fast wie ein glücklicher Flüchtling.
    Sein schlechtes Gewissen war nicht besonders groß. So ähnlich hatte er sich gefühlt, als er auf dem Gymnasium gewesen war, erinnerte er sich, wenn er an einem Vorsommertag Französisch oder Physik geschwänzt hatte und stattdessen mit ein paar Gleichgesinnten an den Kanal geradelt war, um den Mädchen beim Schwimmtraining zuzugucken. Oder nach Oudenzee hinaus, um dort einfach nur am Strand zu liegen und heimlich zu rauchen.
    Schwänzen, also. Kein Zweifel, er hatte Kluuge und die anderen im Stich gelassen. Und folglich gab es auch keinen Zweifel, dass

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