Der Kommissar und das Schweigen - Roman
Optimismus war wie weggeblasen. Ihm war klar, dass er sie verletzt hatte. Jetzt schon.
»Waren Sie einmal dort?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Was können Sie mir also über Jellinek sagen?«
»Oscar Jellinek ist unser Führer.«
»Das weiß ich.«
»Er ist das Verbindungsglied zu dem lebendigen Gott.«
»Wie geht das?«
»Wie das geht? Ja, er hat dank seiner Reinheit und seiner Erhabenheit den Kontakt.«
»Ich verstehe«, sagte Van Veeteren. »Wissen Sie, wo er sich jetzt befindet?«
»Nein.«
»Aber Sie wissen, dass er aus dem Lager in Waldingen geflohen ist?«
»Ja ... nein, nicht geflohen.«
»Wie wollen Sie es denn sonst nennen?«
»Er folgt nur Gottes Stimme.«
»Gottes Stimme?«
»Ja.«
»Haben Sie gelesen, was in den Zeitungen geschrieben wird? Es gibt viele, die glauben, dass Jellinek hinter diesen Morden steckt.«
»Das ist unmöglich. Das ist nur Lüge und Verleumdung. Die Leute sind voller Neid und Bosheit, deshalb sagen sie solche Sachen. Christus ist auch verfolgt worden ...«
Die Rosen der Empörung begannen auf ihrem Hals und ihren Wangen aufzublühen. Der Hauptkommissar wartete noch einige Sekunden, bevor er versuchte, ihren flackernden Blick wieder einzufangen.
»Und dessen sind Sie sich ganz sicher?«
»Oscar Jellinek ist ein heiliger Mann.«
»Und das gibt ihm das Recht, einen Mörder zu schützen?«
»Ich verstehe nicht, was Sie damit sagen wollen.«
»Sie verstehen das nicht? Nun, das ist doch wohl die einfachste Sache der Welt. Sie geben mir doch Recht, dass diese Mädchen tot sind?«
»Ja, ich nehme an ...«
»Dass sie brutal misshandelt und ermordet wurden?«
»Ja, aber ...«
»Und meinen Sie, es ist rechtens, ihren Mörder frei herumlaufen zu lassen?«
»Nein, das meine ich natürlich nicht ...«
»Wie können Sie es dann verteidigen, dass die Einzigen, die uns Informationen geben könnten, beschlossen haben, nichts zu sagen? Bitte schön, ich hätte gerne eine Erklärung von Ihnen.«
Sie antwortete nicht.
»Wissen Sie, wo sich Oscar Jellinek befindet?«
»Ich?«
»Ja.«
»Natürlich nicht.«
»Und finden Sie, dass es richtig ist zu schweigen?«
»Ich will nicht darüber reden. Ich glaube ...«
»Der Mörder läuft frei herum, weil Das Reine Leben die Zusammenarbeit mit der Polizei verweigert hat«, fuhr der Hauptkommissar unverdrossen fort. »Sie machen gemeinsame Sache mit Verbrechern, Kriminellen und ... ja, und mit dem Teufel selbst. Es gibt übrigens Leute, die glauben, Sie wären Satanisten. Wussten Sie das?«
Auch jetzt gab sie keine Antwort. Van Veeteren verstummte. Er lehnte sich zurück und betrachtete eine halbe Minute lang ihre stumme Verwirrung. Er sah ein, dass er zu weit gegangen war, aber es war nicht immer einfach, in dieser Situation den richtigen Ton zu treffen. Er wechselte das Thema.
»Kennen Sie die drei Frauen, die im Lager dabei waren, Ulriche Fischer, Madeleine Zander und Mathilde Ubrecht?«
Sie zuckte leicht mit den Achseln.
»Ein wenig.«
»Was heißt das?«
»Wir alle leben in der gleichen Familie.«
»In dem Reinen Leben?«
»Ja.«
»Aber die drei gehören nicht zu Ihren engsten Freunden?«
»Ich habe mit einigen der anderen mehr Kontakt.«
»Haben Sie auch Freunde, die nicht zu der Gemeinde gehören?«
Sie zögerte einen Moment.
»Nicht direkt Freunde.«
»Dann haben Sie sich also von Ihrem gesamten Bekanntenkreis losgesagt, als Sie vor zwei Jahren Jesus begegnet sind?«
»Nein, Sie verstehen das nicht ...«
Zöllner und Sünder, dachte Van Veeteren.
»Warum ist Ihre Kirche leer, können Sie mir das sagen? Ich war gestern draußen. Haben Sie im Sommer keinerlei Zusammenkünfte?«
»Wir haben ... wir haben eine Periode.«
»Eine Periode?«
»Ja.«
»Was für eine Periode?«
»Eine Periode der Einsamkeit und Reinigung.«
»Gebet, Entsagung und Reinheit vielleicht?«
»Ja, obwohl das ja unsere Grundpfeiler sind. Die gelten immer.«
»Dann finden also keine Gottesdienste statt, wenn der Hirte weg ist?«
»Nein. Warum ...?«
»Ja?«
»Warum sind Sie so böse auf mich?«
Weil ich die ganze Zeit sauer aufstoßen muss, dachte der Hauptkommissar.
»Ich bin nicht böse. Könnten Sie nicht trotzdem versuchen, mir zu erklären, warum die Frauen beschlossen haben, nicht mit der Polizei zusammenzuarbeiten?«, versuchte er es noch einmal. »Wenn Jellinek nun unschuldig ist.«
Wieder zuckte sie mit den Achseln.
»Ich weiß es nicht.«
»Weil Jellinek es ihnen gesagt hat?«
Sie antwortete
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