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Der Kommissar und das Schweigen - Roman

Der Kommissar und das Schweigen - Roman

Titel: Der Kommissar und das Schweigen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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nicht.
    »Wissen Sie, dass alle drei eine sexuelle Beziehung zu ihm unterhalten?«
    Sie reagierte nicht, wie er gedacht hatte.
    Sie reagierte überhaupt nicht. Saß nur auf diesem hellblauen Sessel, die Teetasse auf den Knien und den Mund zusammengekniffen wie eine Rasierklinge.
    »Oder soll ich davon ausgehen, dass alle Frauen der Gemeinde etwas mit ihm haben?«
    Vielleicht ist das so eine Art Initiationsritual? durchfuhr es ihn. Aber, mein Gott, es mussten ja mehrere Hundert sein! Und wie dem auch sei, immerhin gab es ja auch noch andere Männer in der Versammlung, wenn auch nicht viele. Die Frau ließ ihren Blick mehrmals zwischen ihrer Teetasse und seinem Schlipsknoten hin und her wandern. Dann sagte sie:

    »Darf ich Sie bitten, mich jetzt in Ruhe zu lassen. Ich glaube nicht, dass Sie ein guter Mensch sind.«
    Van Veeteren räusperte sich.
    »Danke«, sagte er. »Ich kann Ihnen versichern, dass ich nichts lieber täte, als von hier abzuhauen. Aber ich habe nun einmal meine Arbeit zu machen. Und meine Aufgabe ist es, einen Mörder zu finden, und wenn Sie es so lieber haben, dann können wir ebenso gut aufs Revier fahren und unser Gespräch dort fortsetzen.«
    Sie zuckte zusammen und stellte ihre Teetasse ab. Faltete ihre Hände noch fester und schloss die Augen. Er ignorierte diese Geste.
    »Ich habe nur noch ein paar Fragen«, erklärte er. »Haben Sie Kinder?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Waren Sie verheiratet?«
    »Nein.«
    »Meinen Sie etwas zu wissen, was uns in dieser Geschichte vielleicht von Nutzen sein könnte? Was immer das auch ist.«
    Erneutes Kopfschütteln. Er stand auf. Hast du überhaupt schon mal einen Kerl gehabt? dachte er.
    Erst als er draußen auf dem Flur stand, schoss er seine letzte Frage ab:
    »Ach, übrigens, Ewa Siguera. Wer ist das?«
    »Siguera?«
    »Ja.«
    »Ich habe keine Ahnung. Können Sie mich nicht endlich in Ruhe lassen. Ich möchte allein sein.«
    Er sah, dass sie inzwischen kleine Ticks bekommen hatte. Leichte Zuckungen um die Augen und den Mund, und er überlegte, ob sie nicht vielleicht auch noch an irgendeiner psychosomatischen Krankheit litt, zu allem anderen.
    »In Ordnung«, sagte er. »Ich will Sie nicht länger stören. Vielen Dank für ein äußerst aufklärendes Gespräch.«
    Er versuchte die Tür zu öffnen, aber erst mit Hilfe seiner Gastgeberin, die zwei der Schlösser öffnen musste, konnte er
in die frische Luft des Treppenhauses entfliehen. Er hörte, wie hinter ihm die Riegel wieder vorgeschoben wurden, einer nach dem anderen, und er holte zweimal tief Luft.
    Verdammte Scheiße, dachte er. Gibt es denn nicht einen einzigen Menschen in diesem Club, der klaren Geistes ist?
    Oder zumindest schulreif?
    Dann erinnerte er sich daran, dass ausgerechnet die Frau, die er eben verlassen hatte, im Telefonbuch als Beruf Grundschullehrerin angegeben hatte, und eine Sekunde lang wurde es ihm schwarz vor Augen.
    Lehrerin?
    Aber man konnte vielleicht ein wenig Hoffnung dahingehend hegen, dass sie ihre Diensttätigkeit in die sekteneigene Lehranstalt verlegt hatte. In die private Aufzuchtstation der Versammlung. Das würde zumindest die schädlichen Auswirkungen ein wenig begrenzen.
    Aber dennoch – die Kinder? Er ging die Treppe in lang ausholenden, fast verzweifelten Schritten hinunter. Ob sie nun im Licht oder in der Anderen Welt lebten – mit welchem Muttermal waren sie nach so einer Schulkarriere behaftet? Gebrandmarkt für ewige Zeiten.
    Ohnmacht, nimm mich in deinen Schoß! dachte Van Veeteren und beeilte sich, auf die Straße zu kommen. Verdammte Scheiße!
    Und von dieser liberalen religiösen Toleranz, mit der er noch vor ein paar Tagen geflirtet hatte, war in dem Moment nicht einmal mehr ein Hauch zu spüren.
    Rotwein, beschloss er stattdessen. Es war erst elf Uhr am Vormittag, aber wahrlich keine Minute zu früh für ein Glas und eine Zigarette. Oh, mein Gott.

28
    Die Bar hieß Platons Grotte, und während er dort drinnen im Schatten saß, widmete er sich vor allem den Fragen, die bei seinem letzten Gespräch mit Andrej Przebuda aufgetaucht waren.
    Dass so ein Übergriff auf Kinder – sie allem Möglichen auszusetzen, sie auf die eine oder andere Art und Weise ihrer Kindheit zu berauben – eigentlich das einzige Verbrechen war, die einzige Tat, die niemals verziehen werden konnte.
    Abgesehen vielleicht davon, jemanden ohne jeden Grund dessen anzuklagen.
    Welch Balanceakt, dachte er. Welch verflucht delikater Balanceakt! In der einen Waagschale alle

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