Der Kommissar und das Schweigen - Roman
streckte sich. »Ja, alle Vermutungen sind bestätigt worden, so kann man es wohl zusammenfassen. Katarina Schwartz war bereits seit knapp zwei Wochen tot, als sie gefunden wurde ... wir gehen von einem Zeitpunkt um den 16. Juli aus. Soweit ich verstanden habe, stimmt das auch mit gewissen anderen Informationen überein. Tolltse?«
Inspektorin Tolltse blätterte in ihrem Block.
»Stimmt schon«, sagte sie. »Wir ... Inspektorin Lauremaa und ich, meine ich, wir haben noch einmal mit fünf von den Mädchen geredet, und es scheint so, als ob Katarina Schwartz irgendwann zu diesem Zeitpunkt verschwunden ist. Vermutlich ein paar Tage früher, am 14. oder 15., aber sie hatten großen Schwierigkeiten mit den Tagen. Keine hat irgendein Tagebuch geführt, und es gab anscheinend auch keinerlei Kalender dort draußen. Zumindest nicht bei den Mädchen.«
»Außerhalb von Zeit und Raum«, brummte Servinus.
»Und die näheren Umstände?«, fragte Reinhart ungeduldig. »Sie müssen einem doch wohl sagen können, ob sie zu einem bestimmten Zeitpunkt verschwunden ist. Oder hat sie sich einfach nur Stück für Stück in Luft aufgelöst?«
»Doch, es gibt nähere Umstände«, bestätigte Lauremaa. »Zuerst hätte man am liebsten vollkommen vergessen, dass sie
sich überhaupt im Lager befunden hatte ... der anonyme Anruf dieser Frau muss sich auf ihr Verschwinden bezogen haben, aber von Anfang an bestritten sowohl die Leitung als auch die Mädchen, dass jemals mehr als zwölf Teilnehmerinnen im Lager gewesen seien. Es ist natürlich nicht so einfach, Motiv und Logik dieses Gedankengangs zu folgen. Ich persönlich finde ja, dass sich daran Jellineks Geisteskrankheit deutlicher als an allem anderen zeigt – aber als die Mädchen schließlich doch zugaben, dass sich tatsächlich eine Katarina Schwartz unter ihnen befunden hatte bis zum ... sagen wir mal, 15. Juli, da ist dann doch das eine oder andere mit zum Vorschein gekommen.«
»Und was zum Beispiel?«, fragte Reinhart.
»Zum Beispiel der Zeitpunkt«, übernahm Tolltse. »Sie ist nachts verschwunden. Hat sich abends wie üblich ins Bett gelegt und war am nächsten Morgen weg.«
»Sicher?«, wunderte Suijderbeck sich.
»Ganz sicher«, sagte Lauremaa.
»Verdammte Scheiße«, sagte Suijderbeck. »Das würde ja bedeuten, dass der Täter sie direkt aus dem Bett gezogen hat. Begrenzt das nicht die Zahl der in Betracht kommenden Kandidaten beträchtlich?«
»Doch, ja«, sagte Lauremaa. »Es sei denn, sie ist von sich aus rausgegangen, natürlich.«
»Rausgegangen?«, wiederholte Suijderbeck. »Was zum Teufel hätte sie denn draußen zu suchen gehabt?«
Lauremaa zuckte mit den Schultern.
»Frag mich nicht. Auf jeden Fall ist es nicht unmöglich, aber natürlich wirkt es etwas unwahrscheinlich.«
»In dieser Geschichte ist kaum noch etwas unwahrscheinlich«, sagte Servinus. »Und weiter?«
Tolltse blätterte weiter.
»Wir haben da noch eine Kleinigkeit«, sagte sie. »Vielleicht nur eine Bagatelle, aber man weiß ja nie. Offensichtlich hatte es da eine Art Kontroverse gegeben, in die auch Katarina verwickelt war. Das hat übrigens schon Marieke Bergson angedeutet.
. . das erste Mädchen, das der Hauptkommissar verhörte, nicht wahr.«
»Eine Kontroverse?«, fragte Reinhart nach. »Was für eine Kontroverse?«
»Irgendetwas zwischen ihr und Jellinek«, sagte Lauremaa. »Sie hatte irgendwie nicht die Regeln eingehalten. Ihm widersprochen oder so, aber es ist uns nicht gelungen, etwas Genaueres aus den Mädchen herauszubekommen.«
»Die hatten offenbar auch ein bisschen Angst deshalb«, erklärte Tolltse.
»Aha«, sagte Reinhart. »Ein kleiner Rebell im Paradies?«
»Kann schon sein«, sagte Lauremaa. »Eigenes kritisches Denken war bestimmt nichts, was in höherem Grad in ihrer geistigen Erziehung einen Platz fand. Auf jeden Fall scheint Jellinek ein Einzelgespräch mit ihr an dem Abend geführt zu haben, bevor sie verschwand ...«
Ein paar Sekunden lang blieb es still. Dann räusperte Suijderbeck sich und beugte sich, auf seine Ellbogen gestützt, über den Tisch vor.
»Dann sind also beide ... ich meine, die beiden armen Mädchen. . . die haben den rechten Pfad also ein wenig verlassen?«, fragte er. »Clarissa hatte ja bei dem Hauptkommissar den Mund nicht halten können, oder war dem nicht so?«
»Doch, genau«, bestätigte Kluuge. »Hier gibt es eine Übereinstimmung.«
Eine Zeit lang schwiegen alle. Dann schlug Servinus mit der Faust auf den
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