Der Kommissar und das Schweigen - Roman
»Ich habe Ihnen doch erklärt. . .«
»Ich glaube, das könnte wichtig sein«, sagte Frau Miller.
»Na gut«, seufzte Kluuge. »Ich gehe draußen ran.«
Er entschuldigte sich und verließ den Raum.
»Na, war das der Mörder, der angerufen und gestanden hat?«, fragte Suijderbeck, als Kluuge wieder auftauchte.
»Nicht ganz«, sagte Kluuge.
»Warum bist du so weiß im Gesicht?«, fragte Servinus. »Ist dir nicht gut?«
»Grün«, sagte Suijderbeck. »Er tendiert eher ins Grüne, finde ich.«
Kluuge setzte sich.
»Das war Frau Kuijpers draußen in Waldingen«, berichtete er. »Sie behauptet, sie hätte eine neue Leiche gefunden ... ja, oder vielmehr ihre Hunde.«
»Mein Gott«, sagte Tolltse.
»Noch eine?«, fragte Reinhart. »Was zum Teufel ...«
»Diese Schoßdoggen?«, bemerkte Suijderbeck.
»Und das ist noch nicht alles«, fuhr Kluuge fort. »Sie schien ziemlich sicher zu sein, um wen es sich da handelt.«
»Und um wen?«, fragte Lauremaa.
»Um Oscar Jellinek«, sagte Kluuge mit einem Seufzer. »Falls der Name bekannt ist.«
VI
31. Juli – 1. August
34
Der vierte Mensch, der in diesem Sommer in den Wäldern von Sorbinowo als Folge des Sommerlagers des Reinen Lebens sein Leben ließ, war ein gewisser Gerald deGrooit.
DeGrooit war 57 Jahre alt und arbeitete seit mehr als zwei Jahrzehnten als Nachrichtenredakteur bei der Zeitung Telegraaf – die letzten drei Jahre in Chefposition. Er hatte Ehefrau und zwei Kinder, und es hieß von ihm, dass er ein guter Ehemann und Vater sei, erfahren und kompetent in seinem Beruf – wenn auch ein wenig cholerisch, wenn es in der Redaktion etwas zu hektisch zuging. So war dieser Herzinfarkt, der seine Journalistenkarriere und sein Leben beendete, für den engeren Kreis seiner Mitarbeiter eigentlich keine große Überraschung. Mit der durch Urlaub dezimierten Mannschaft zwei derartige Nachrichtenbomben wie die Brandstiftung an der Kirche in Stamberg und die Entdeckung des ermordeten Priesters in Sorbinowo – und das noch am gleichen Tag! – abzudecken, ja, das war ganz einfach der Tropfen, der das Fass bei Chefredakteur deGrooit zum Überlaufen brachte.
Nicht zufällig war auch ausgerechnet der Telegraaf die einzige Tageszeitung im Lande, die an diesem heißen Mittwoch keinen Reporter vor Ort in Waldingen hatte.
Zumindest kam es Kommissar Reinhart so vor, als hätte er noch nie in seinem Leben so viele Zeilenschinder auf einem Haufen gesehen. Jedenfalls nicht irgendwo im Wald. Während das Spurensicherungsteam um die Mittagszeit immer noch in der Hitze innerhalb des abgesperrten Gebiets herumlief und
nach Spuren schnüffelte, schätzte er das Kräfteverhältnis zwischen der Ordnungsmacht und der vierten Staatsmacht auf 25:75. In Prozent, heißt das. In realen Zahlen handelte es sich wohl ungefähr um das Doppelte. Zwanzig Mann aus den Polizeistaffeln in Oostwerdingen, Rembork und Haaldam waren eilig zusammengerufen worden; der in der Vergangenheit wenig erfolgreiche Suchtrupp war wieder an Ort und Stelle. Zusammen mit dem Leitungsteam, den Ärzten und Kriminaltechnikern konnte man mit Fug und Recht in allen Fernseh- und Rundfunksendungen von so genannter voller Besetzung sprechen. Wenn es tatsächlich eines der Kennzeichen des Reinen Lebens war, seine Glaubensausübung möglichst in unbeachtetem Rahmen ausführen zu wollen (was sie zumindest seit dem angekündigten Prozess gegen die Sekte behauptet hatten), so wurde das an diesem Tag in fast parodistischer Weise auf den Kopf gestellt. Den ganzen Nachmittag und Abend über verkündeten aufgeregte Reporter in einer Nachrichtensendung nach der anderen die letzten Neuigkeiten aus Waldingen, Sorbinowo und Stamberg. Ein halbes Dutzend Psychologen und ganz normale Verhaltensforscher unterschiedlichster Schulen informierten freimütig über dieses und jenes, wie auch eine Hand voll Kriminologen, ein paar Sektenmitglieder (die nicht unbedingt etwas mit dem Reinen Leben zu tun hatten), zwei bärtige Religionstheoretiker, ein ehemaliger Pyromane sowie ein Bischof in Urlaubsstimmung.
In Waldingen selbst war es nicht viel besser. In bequemem Spazierabstand von den Fundplätzen selbst (ungefähr vierhundert Meter westlich von Fundplatz Nummer eins und ungefähr sechshundert Meter von dem so genannten Badefelsen entfernt) wurden sogleich verschiedene Einrichtungen zum Nutzen und Frommen aller Beteiligten aufgebaut: zwei praktische, tragbare Toiletten (eine für jedes Geschlecht), ein kleineres Bier- und
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