Der Kommissar und das Schweigen - Roman
es an der Zeit war, seinen Ausweis abzugeben? Wohl kaum.
Gab es noch andere Zeichen? Etwas, das in eine andere Richtung deutete? Wohl kaum.
Er kam auf die Füße und entschied sich für eine halbstündige Autofahrt in Gesellschaft von Fauré, statt weiter so sinnlos dahinzugrübeln.
Und dann war das Telefonbuch angesagt.
Genau. Alles hat seine Zeit.
Aus der halben wurde eine ganze Stunde, und Fauré bekam Ablösung durch Pergolesi. Als der Hauptkommissar hinter Glossmann’s parkte, war es bereits sieben, und die schlimmste Tageshitze war vorbei. In der Rezeption wartete ein Fax von Reinhart, aber das enthielt nur einen schlechten Witz dahingehend, dass diejenigen, die in der Ermittlungsleitung kein Holzbein hatten, stattdessen einen Holzkopf zu haben schienen. Van Veeteren warf es in den Papierkorb und bat, ein Telefonbuch von Stamberg mit auf sein Zimmer nehmen zu dürfen. Sowie die üblichen zwei Biere.
»Es liegt ein Telefonbuch in der Schreibtischschublade«, erklärte der immer gleich bleibend schläfrige Portier. »In jedem Zimmer. Hell oder dunkel?«
»Wie immer«, sagte Van Veeteren und bekam von jedem eins.
Wohlbehalten oben angekommen, streckte er sich mit der ersten Flasche, der hellen, auf seinem Bett aus und widmete
sich dem Stamberger Telefonbuch, das ganz richtig unter der Bibel und dem Briefpapier mit dem Logo des Hotels im Schreibtisch lag.
Er nahm einen Schluck und blätterte. Es war nicht einer von diesen dicken Telefonbuchschinken; Stamberg war ja nur eine Stadt von – was wollte man schätzen? – fünfzigtausend Einwohnern?, und er fand fast sogleich die richtige Seite. Offensichtlich beherrschte er immer noch das Alphabet.
Er überflog die Reihen der Namen, und da kam es.
Eigentlich war es nur ein Zittern. Ein kurzes, leichtes Brennen in irgendwelchen hinteren Winkeln seines alten, müden Gehirns, aber er begriff, dass endlich etwas geklickt hatte.
Oder besser gesagt, in Gang gekommen war.
Das war verdammt noch mal auch höchste Eisenbahn, dachte er.
Er starrte ein paar Sekunden lang auf die Informationen. Schloss dann die Augen und lehnte sich in die Kissen zurück, während er versuchte, seine Gedanken von Schlacke und Geröll zu befreien. Von Chören, Priestern und anderem. Blieb eine Weile so liegen, ohne sich zu rühren und ohne einen einzigen Gedanken zu fassen.
Und dann tauchten sie aus dem Sumpf des Vergessens wieder auf – zwei hingeworfene Äußerungen, die er vor bald zwei Wochen gehört hatte.
Oder war es an zwei verschiedenen Nachmittagen gewesen?
Er wusste es nicht mehr, und es spielte natürlich auch keine Rolle.
Er ließ noch einige weitere Minuten verstreichen, aber während dieser Zeit passierte eigentlich nichts mehr. Nur diese Telefonbuchinformationen und diese Äußerungen – als er die Augen wieder öffnete, war ihm außerdem klar, dass es sich hier um kaum mehr als eine Ahnung handelte.
Aber, so musste er zugeben – und das war etwas, was er im Laufe der vielen Jahre gelernt hatte, zumindest etwas – die Kunst bestand ja gerade darin, eine Ahnung auf ihren Gehalt hin abzuklopfen.
Er trank seine beiden Biere. Telefonierte danach und verabredete ein Treffen für den folgenden Tag.
Als er fertig war, las er noch zwei Kapitel im Klimke, duschte und ging dann ins Bett.
Zwei Minuten nach sieben am nächsten Morgen klingelte das Telefon.
Es war Reinhart, aber bevor der Hauptkommissar ihn noch zur Hölle hatte wünschen können, hatte dieser das Kommando ergriffen.
»Hast du einen Fernseher im Zimmer?«
»Ja ...«
»Dann schalte ihn ein. Auf Kanal 4.«
Danach legte er auf. Van Veeteren bekam die Fernbedienung zu fassen und schaffte es sogar, die richtigen Knöpfe zu drücken. Drei Sekunden später war er hellwach.
Die übliche morgendliche Nachrichtensendung, wie es schien. Aufgeregte Sprecherstimme. Flackernde Bilder eines Gebäudes, das in hellen Flammen stand. Feuerwehrleute und Sirenen. Ein sehr realistisches Interview mit dem verrußten Leiter der Feuerwehr.
Er erkannte die Gegend sofort. Ein paar Sekunden lang schwenkte die Kamera dann auch noch über die Schimpfworte, die er am gestrigen Tag gelesen hatte.
Mörderteufel und die anderen.
Ansonsten schien das meiste verbrannt zu sein, und der Leiter der Löschtruppe zeigte auch nicht viel Hoffnung, dass etwas gerettet werden könnte. Der Einsatz konzentrierte sich darauf, das Überspringen des Feuers auf die umliegenden Gebäude zu verhindern, wie er erklärte. Denn es
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