Der Kommissar und das Schweigen - Roman
Getränkezelt, ein Stand mit Brötchen und zwei ambulante Würstchenstände. Die Stadt Sorbinowo war flexibel und hatte Übung darin, wenn es darum ging, mit plötzlich auftretenden Touristenmassen fertig zu werden.
Eine erste Pressekonferenz (später in einhundertelf einheimischen Medien wiedergegeben, wie jemand genau nachrechnete), die man beim besten Willen nicht als Volltreffer bezeichnen konnte, hielt man zwischen zwei und halb drei auf der Terrasse vor dem Hauptgebäude des Ferienlagers ab. Bei einigen guten Gelegenheiten wurde so unverblümt Kritik an der Leitung der Ermittlungen geübt, dass Kommissar Suijderbeck sich dazu veranlasst fühlte, einem sowohl körperlich als auch seelisch übergewichtigen Rundfunkreporter die Leviten zu lesen – in solchen Termini, dass er später einen Verweis von dem Justizminister bekam.
Ja, es war ein verfluchter Mittwoch.
Gegen achtzehn Uhr beschloss die Leid geprüfte Ermittlungsleitung, Waldingen den Wachtleuten aus Oostwerdingen nebst eventuell noch zurückbleibenden Reportern sowie der Allgemeinheit, sprich jedem Krethi und Plethi, zu überlassen. Die Spuren und Hinweise, die gesichert werden konnten, waren aufgenommen worden. Die Untersuchungen, die durchgeführt werden konnten, waren gemacht, die Verhöre der Nachbarn (der Familien Fingher und Kuijpers) abgeschlossen (zumindest in der ersten Runde), und die irdischen Reste von Pastor Jellinek waren in einen Bodybag gelegt worden und wurden mit der Karawane, der auch sie angehörten, nach Sorbinowo zurückbefördert.
Auf Reinharts Rat hin hatte Kluuge zwei Stunden Ruhepause angeordnet, bevor man wieder zusammentraf, um weiterzuarbeiten und die Beratungen zu intensivieren – ein Beschluss, der mit leisem Beifall entgegengenommen wurde.
Reinhart selbst zog sich während dieser Zeit des Waffenstillstands in sein Zimmer zurück. Jung aß mit Suijderbeck und Servinus bei Florian’s zu Mittag, während Tolltse und Lauremaa laut eigenen Angaben es vorzogen, mit einem Picknickkorb an den See zu ziehen und sich ein kürzeres Bad zu gönnen.
Der Polizeichef selbst fuhr nach Hause zu seiner Deborah
und erklärte ihr, dass er sie liebte sowie dass er die Absicht hatte, sich beruflich vollkommen neu zu orientieren, sobald er die Zeit dazu fände. Leuchtturmwärter, Franziskanermönch oder was es sonst noch so gab.
Nachdem Reinhart zum dritten Mal mit dem Empfang im Hotel Glossmann in Stamberg gesprochen hatte und jedes Mal den gleichen negativen Bescheid hinsichtlich Herrn Van Veeteren bekommen hatte (Reisender in Sachen Holzblasinstrumente und Libretti), gab er auf und rief stattdessen Winnifred Lynch an. Sie sprachen zwanzig Minuten lang über Liebe, Entbindungsmethoden und schöne Vornamen sowie darüber, ob es sinnvoll wäre, während der Schwangerschaft Rotwein zu trinken oder lieber nicht – und als er den Hörer aufgelegt hatte, überfielen ihn ein paar vollkommen leere Sekunden, in denen er keine Ahnung hatte, wo er sich befand.
Oder warum.
Aber dann fiel ihm alles wieder ein.
»All right, ich fass jetzt mal zusammen«, sagte Suijderbeck. »Ich habe einfach keinen Nerv mehr, jemand anderem zuzuhören, ihr müsst schon entschuldigen ... und korrigiert mich, wenn ich etwas Falsches sage.«
»Wir sind ganz Ohr«, sagte Reinhart, aber Suijderbeck nahm von ihm überhaupt keine Notiz.
»Oscar Augustinus Jellinek hat seit ungefähr zehn Tagen draußen in Waldingen tot herumgelegen. Es gibt nichts, was dagegen spricht, dass er genau an dem Sonntagabend gestorben ist, an dem auch alles andere passierte, also am 21. Juli. Warum er zuerst abgehauen sein soll, um sich zu verstecken, und dann zurückgekommen ist, um umgebracht zu werden, ja, das kapiere zumindest ich nicht ... aber ich gebe gern zu, dass es noch eine ganze Menge anderer Dinge in diesem Durcheinander gibt, die ich nicht kapiere.«
»Du bist in guter Gesellschaft«, sagte Lauremaa.
»Im Gegensatz zu den getöteten Mädchen«, fuhr Suijderbeck fort, »weist Pastor Jellinek kein Zeichen auf, dass er vergewaltigt
wurde ... um Servinus’ elegante Formulierung aus dem Fernsehen zu benutzen.«
»Ach, leck mich doch«, sagte Servinus.
»Und im Gegensatz zu den Mädchen ist er mittels Gewaltanwendung gegen den Kopf umgebracht worden. Was sagen die neuesten Obduktionsbefunde?«
Kluuge suchte sie heraus.
»Mehrere kräftige Schläge mit einem spitzen Gegenstand«, zitierte er. »Bisher noch nicht identifiziert, um was es sich dabei gehandelt
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