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Der Kontinent der Lügen

Der Kontinent der Lügen

Titel: Der Kontinent der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Lügen zu erzählen, muß
man erwachsen genug sein, sie sich vom Halse zu schaffen. »Wir
sind die Atomkraft losgeworden«, sagte ich zu Senator
Krippenkeg, »und wir sind die Quarkbomben losgeworden. Jetzt
müssen wir die Schlingbäume loswerden.«
    Die Gattung ist also ausgerottet worden. Die Farmen liegen brach.
Die Studios verfallen. Die Salons sind zu Staub geworden. In den
Hotels finden keine Zephapfel-Festivals mehr statt. Das anonyme
Unternehmen, das die Preise der Züchtervereinigung hergestellt
hat, hat auf die Produktion jener Statuetten umgestellt, die man als
Sieger des Ganzir-Marathons bekommt. Keine Sybariten schleichen sich
mehr in das Innere von Grorgs, um dort Traumkapselorgien zu
veranstalten.
    Soviel ich weiß, haben die meisten Züchter und
Pflücker schließlich Jobs in der traditionellen
Landwirtschaft gefunden. Der Kohl, den Sie zum Abendessen verspeist
haben, kann von einem Mann angebaut worden sein, der seine Vormittage
früher damit zugebracht hat, den Raupen auf der Kröte
der Nacht den Garaus zu machen. Und die Traumweber? Die praktisch
Veranlagten unter ihnen, diejenigen, die einen
Überlebensinstinkt besaßen, fanden andere Methoden, ihre
Visionen umzusetzen. Sie wurden Maler, Bildhauer, Architekten,
Choreographen, Modeschöpfer und Holovisionsregisseure. Die
weniger praktisch Veranlagten verschwanden einfach aus dem
öffentlichen Leben. Sie welkten dahin wie die nicht
eingebrachten Ernten der Hydrasteroiden. Auch die Alptrinker sollen
in diesem Epilog nicht unerwähnt bleiben. Manche von ihnen haben
natürlich neue Dimensionen der Selbstbefleckung und der
Sünde eröffnet, zu denen auch solche neuen haute
desespoir- Phänomene wie Selbstmordklubs,
Grabräubervereinigungen und Kill-it-yourself-Restaurants
gehören. Viele von ihnen haben jedoch auch unerwartete
Kehrtwendungen gemacht. Wußten Sie schon, daß der
Hauptsponsor des Sinfonieorchesters von Shadu ein ehemaliger
Bluttrinker ist? Der Spendenkoordinator der Verthandi-Klinik
ebenfalls. Mein Freund Jonnie Rondo fliegt in seiner Freizeit mit der Fleischtopf herum und bringt Impfstoffe und andere
biomedizinische Annehmlichkeiten zu jenen armseligen Planeten, die in
letzter Zeit durch Experimente mit landwirtschaftlichem Utopismus in
steinzeitliche Primitivität zurückgefallen sind.
    Wie Sie sich bestimmt denken können, ist meine lebhafteste
Erinnerung an die Torquist-Anhörungen jener Moment, als Senator
Woojek mich fragte, ob meine Unterstützung für den
Traft-Antrag nicht einfach eine irrationale Reaktion darauf sei, was
der lauernde Lügner meiner Tochter angetan hatte. Ich
schätzte Woojek sofort als Agenten der Traumweber-Magnaten ein.
In der Tat stellte sich heraus, daß die Züchtervereinigung
ihm insgeheim mehr als fünftausend Furniere pro Tag zukommen
ließ.
    Ich schaute Woojek direkt in die Augen.
    »Das hätte jedem Kind zustoßen können«,
sagte ich. »Wenn wir die Schlingbäume behalten, wird es
schließlich all unseren Kindern zustoßen.
Irrationalität war noch nie vernünftiger,
Senator.«
    Von dem Augenblick an war jedem klar, daß die Tage dieser
Industrie gezählt waren.
     
    Der erste Apfel des Lebensbaums machte Lilit nicht wieder gesund,
aber zugänglicher für weitere Behandlungen. Jonnie, Urilla
und ich brauchten nichts Verlockenderes zu sagen als »Sie sind
gut für dich«, und Lilit aß die Äpfel.
    Bevor Horg und der Zentaur uns verließen, um Arbeit auf den
Dschungelee-Feldern zu suchen, halfen sie uns, den Sämling in
Jonnies Raumjacht umzusetzen. Der Pelzbarsch-Swimmingpool war ein
perfekter Garten. Der Schlaflehrer war der erste Schlingbaum,
der je hydroponisch ernährt wurde.
    Sieben Äpfel: Das war die Gesamtmenge, die Lilit gegessen
hatte, als die Fleischtopf auf der Heimatseite von
Voodoo-Vektor 72 herauskam. Sieben Schlaflehrer gegen einen lauernden
Lügner. Sieben Antitraumata auf den Palimpsesten ihres
Gehirns.
    Eine Stunde, nachdem sie den achten Apfel gegessen hatte, sagte
Lilit Vater zu mir, und in meiner Seele gingen die Lichter an. Der
Durchbruch ereignete sich in ihrer Kabine. Bilder von Goth bedrohten
uns von allen Seiten. Ich versuchte sie zu überreden, mit uns zu
Mittag zu essen, und auf einmal sagte sie: »Ich fühle mich
komisch, Vater. Ich bin gerade aufgewacht, obwohl ich gar nicht
geschlafen habe.«
    »Wir hoffen, daß du mit uns essen kannst.«
    »Was gibt’s denn?«
    »Geschmorte Tomaten. Hab ich selbst gemacht.«
    »Ist schon okay – ich könnte alles essen«, sagte sie.

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