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Der Kontinent der Lügen

Der Kontinent der Lügen

Titel: Der Kontinent der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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schreibst. Was mit Monstern und Massenmördern und
gutgebauten Jungs und Mädels, die heiße Nummern
schieben.«
    »Ich muß dir sagen, du Grünschnabel, daß
Monster und Massenmörder nur in der Hälfte der Sachen
vorkommen, die ich rezensiere.«
    »Wenn du mir keine Geschichte erzählen willst, dann geh
mit mir in einen Psychosalon.«
    »Hast du Die Chrononauten schon geschluckt?«
fragte ich. »Das ist die witzigste Science Fiction seit der Friedensmaschine. Dann gäb’s da noch Altäre
des Herzens – du magst doch Liebesgeschichten,
oder?«
    »Nein, ich mag Monster und Massenmörder und
gutgebaute…«
    Mein Zeigefinger schnitt ihr das Wort ab. Woher dieser
plötzliche Appetit auf Horrorkapseln? Eine Phase, vermutete ich.
Respektvolle Festigkeit, damit sollte ich’s versuchen, genau wie
Dr. Hexclouter befohlen hatte. »Hier ist mein Vorschlag. Wir
gehen heute abend in einen Salon, und ich verspreche dir wenigstens
drei Monster und zwei Massenmörder.« Ich bewegte den Finger
wie ein Metronom. »Aber keine gutgebauten Jungs und Mädels,
die irgendwelche Schweinereien machen. Nicht bevor du dreizehn
bist.«
    Ihr Gesicht begann warm zu leuchten, wie das Wachs in der tiefen,
weichen Mulde einer Kerze. »Laß uns den Nekrophilie-Walzer anschauen!«
    »Nein!« rief ich mit respektvoller Festigkeit. Ein paar
Tage zuvor hatte ich eine Vorabinformation über den Nekrophilie-Walzer bekommen, und ich wußte, daß es
sich dabei um eine äußerst anrüchige Story handelte,
in der man die meiste Zeit damit zubrachte, Särge aufzustemmen.
Den Nekrophilie-Walzer anzuschauen würde nur ein paar
Grad vom Alptrinken entfernt sein.
    »Werwölfe der Schwerelosigkeit!« rief Lilit
unverzagt.
    »Das schon eher. Weißt du was? Wir werden nicht mal
zahlen müssen.«
    »Was kratzt mich das.«
    Ich fragte mich, ob es vielleicht die von den Horrorkapseln
aufgeworfenen moralischen Fragestellungen waren – wie sieht das
Böse aus? Wie schlimm muß das Böse werden, bevor die
Menschen etwas dagegen unternehmen? –, die Lilit zu dem Genre
hinzogen. Moralphilosophie hatte Lilit immer schon interessiert. Als
sie noch zur Vorschule ging und wir beide uns schlechte terranische
Filme in unserem Holovisionsgerät anzusehen pflegten, hatte sie
immer versucht, die Figuren in einen ethischen Rahmen einzuordnen.
»Ist der Mann da der Gute?« hatte sie beispielsweise
gefragt. »Ist die Frau die Böse?«
    An diesem Abend besuchten wir zwei Psychosalons, denn nach den Werwölfen der Schwerelosigkeit (drei Sterne – eine
amüsante, wenn auch vorhersagbare Horror-Satire) überredete
mich Lilit zu Schick mir die Post in meine Gruft (anderthalb
Sterne – scheußlich und blutig, nichts für
Jugendliche unter… äh… zwölf); viele weitere
folgten an den nächsten Abenden, aber Lilits Begeisterung
für mich hielt nicht lange vor, und schließlich schien ich
mit einem geprügelten Hund zusammenzuleben, so niedergeschlagen
sah sie aus, während sie sich schlecht gelaunt in der Wohnung
herumdrückte. Ich wußte von Hexclouter, daß
Jugendliche so sein können, aber es gefiel mir nicht, diese
fleischgewordene Miesepetrigkeit leibhaftig vor mir zu sehen,
jedenfalls nicht bei Fleisch von meinem Fleisch.
    »Liegt’s an der Gegend hier, Lilit? Langweilst du dich?
Findest du keine Freunde?«
    »Wer würde wohl Freunde hierher mitbringen
wollen?«
    »Meine Möbel sind dir peinlich, stimmt’s? Sollen
wir uns neue besorgen?«
    Sie sagte nichts. Sie saß nur in einem Liegestuhl und
zeichnete Pferde.
    »Möchtest du andere Möbel haben?«
    Nichts.
    »Rede mit mir!«
    Sie stand auf und ging weg.
    Wenn ich mich recht erinnere, änderte sich ihre Stimmung erst
an dem Tag, als die Irren kamen.
     
    »Vater! Die Irren kommen!«
    Unglücklicherweise wußte ich ganz genau, was sie
meinte. Die Irren, von denen sie sprach, waren keine
Traumkapselfiguren; es waren echte, lebendige Geisteskranke.
    »Kein Interesse«, erwiderte ich. »Wir haben bessere
Möglichkeiten, uns danebenzubenehmen.«
    Sie schnitt eine Grimasse. Die Grimasse war ein strahlendes,
leuchtendes Blau. Meine Tochter hatte sich die Zähne
angemalt.
    »Was hast du denn mit deinem Mund gemacht?«
    »Zahngloss, du Dummerchen. Der letzte Schrei.«
    »Sieht ja grausam aus.«
    »Urilla wird mit mir zum Schiff gehen«, sagte
Lilit rachsüchtig. »Ich werde Urilla davon
erzählen.« Nachdem das geklärt war, löste sie
sich vom verführerischen Blick des Holovisionsgeräts und
verließ das Zimmer, um die Wunderbare

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