Der Kontinent der Lügen
meiner geliebten Stadt Shadu waren, wurde
mir voll und ganz klar, wie furchtbar viel Urilla daran lag, eine
professionelle Traumweberin zu werden. Ihrer unbescheidenen Meinung
nach beherrschte sie mittlerweile alle grundlegenden Techniken des
Mediums, und jetzt war es an der Zeit, daß sie Webbücher
zu schreiben, Kontakt mit Züchtern aufzunehmen, Vertriebsleute
zu umwerben und in großen Dimensionen zu denken begann. Ihre
Entschlossenheit schüchterte mich ein, so sehr war ich es
gewohnt, die Zukunft als eine heranstürmende Horde unangenehmer
Überraschungen zu betrachten – zack, weg ist der Job!
– puff, die Ehe im Eimer! – und mich darauf zu
konzentrieren, dafür zu sorgen, daß mir möglichst
wenig davon zustieß. Aber für Urilla war das Schicksal
etwas, das man arrangieren mußte wie eine Party; man
konstruierte es wie eine Brücke. Und so kam es, daß meine
Wohnung zum Schlupfloch einer Autorin wurde, mit einer groben Skizze
in jedem Winkel und einer halbvollen Tasse Kaffee in jeder Ecke.
Urilla war wirklich sehr produktiv. Sie schaffte durchschnittlich
ein Webbuch pro Woche, obwohl sie es nie wagte, eins davon meinem
skeptischen, prüfenden Blick auszusetzen. Diese Unterlassung
schien ihr peinlich zu sein. »Das sind Routinesachen«,
sagte sie immer. »Zur Einstimmung auf Bereinigung des
Vergangenen.« Dann, als kühnerer nachträglicher
Einfall: »Wenn du sie nicht magst, würde ich dich
vielleicht auch nicht mehr mögen.« Was mich betraf, so war
ich gerade dabei, den zweiten Artikel der Traumzensur-Serie in
Angriff zu nehmen. Der erste war ganz allein für die
profitabelste Ausgabe von Traumkapseln Entschlüsselt verantwortlich gewesen, die je ausgestrahlt worden war. Ich gab
Francie Lern beharrlich zu verstehen, daß jemand, der solche
Juwelen hervorbringen konnte, doch wohl einen festen Job in ihrem
Mitarbeiterstab verdient hatte, und sie erwiderte hartnäckig,
daß ich nicht mehr inspiriert sein würde, solche Juwelen
zu schreiben, wenn ich zu ihrem Mitarbeiterstab gehörte. (Stimmt
ja, stimmt ja.) Deshalb hatte ich immer noch Geldsorgen, obwohl
Urilla die Hälfte der Miete bezahlte. Die zehntausend Furniere
für das Einnehmen der Lotoskapsel hatten alle innerhalb von ein
paar Wochen eine neue Heimat gefunden. Ein Drittel ging in einen
Schwebewagen. Ich liebte diesen Wagen. Am liebsten hätte ich
eine Flotte davon gehabt. Wenn man einmal auf den Geschmack kommt,
regt Geld den Appetit genauso an wie Blut.
Nachts lagen Urilla und ich zusammen im Bett, dachten uns Plots
für Erotokapseln aus und testeten die besten gleich selber.
Unser Meisterwerk trug den Titel Fleisch vor dem
Frühstück.
Wenn ich eines kosmischen Verbrechens für schuldig befunden
und daraufhin von Gott dazu verurteilt werden würde, einen
bestimmten Abschnitt meines Lebens unaufhörlich zu wiederholen,
eine existentielle chinesische Wasserfolter, dann wäre der
einzige Abschnitt, den ich endlos ertragen könnte, diese Zeit
des kreativen Schreibens, kreativen Redens und kreativen
Miteinanderschlafens nach unserer Rückkehr von der Fleischtopf. Nicht einmal Jonnies Berichte konnten unser
Glück trüben. Sicher, die Nachricht, daß Der
lauernde Lügner bei keinem der Zephapfel-Festivals in Umlauf
gekommen war, veranlaßte uns, jeden Abend die
Holovisions-Nachrichtensendungen zu sehen und nervös nach
Anzeichen dafür Ausschau zu halten, daß der Traum woanders
aufgetaucht war. Hatte die Polizei eine Erklärung für den
plötzlichen, unerklärlichen Wahnsinn eines
Phrensamenzüchters zu finden versucht? War das Publikum eines
Psychosalons in einer Wiederholung des Vorka-Massakers durchgedreht?
Aber es gab keine solche Horrorstory, und abgesehen von diesen
gereizten Nachtwachen spürten sowohl Urilla als auch ich selbst,
daß unsere Tage in Shadu zu den besten gehörten, die wir
je erleben würden.
Die Blase wurde aus einer unerwarteten Richtung zum Platzen
gebracht. An einem drückend heißen Abend tauchte meine
Exfrau auf. Mit der einen Hand schleifte sie Lilits Feldkiste und mit
der anderen Lilit selbst hinter sich her.
Lilit!
Sie wirkte natürlich verändert. Um vier Jahre
verändert. Vier Jahre, in denen sie mit ihrer Mutter auf der
ersten transgalaktischen Tournee der Zahrimer Shakespeare Company
herumgezogen war. Die Pubertät machte sich deutlich bemerkbar.
Ich sah sofort, daß ich Lilit während unserer langen
Trennung nicht idealisiert hatte. Sie war großartig:
hübsch, aber auch bescheiden, zart, aber
Weitere Kostenlose Bücher