Der Kontinent der Lügen
nicht gefallen, wenn sie
hier einfach so abgeladen würde. Sie wird uns beide dafür
hassen, und außerdem paßt es jetzt gerade
schlecht.«
»Du meinst die Denkmaschinenmechanikerin, die zum
Frühstück geblieben ist? Tut mir leid, wenn ich dir deine
Illusionen rauben muß, Quinjin, aber in deinem Repertoire gibt es keine Sünde, die sie nicht schon bei mir
zu Hause zu sehen bekommen hat. Nicht daß ich’s drauf
angelegt hätte…«
»Es ist was anderes. Sieht so aus, als würde ich’s
demnächst mit einem Haufen von Alptrinkern und verrückten
Traumwebern zu tun haben, und…«
Ich zwang mich, den Mund zu halten. Nimm dich zusammen, Quinjin!
Immer mit der Ruhe, Quinjin! Du bist in einer guten
Verhandlungsposition. Du kannst aus der Sache mehr rausholen, als nur
ein Ferienlagerbetreuer in Lilits Leben zu sein, ein vom Gericht
zugeteilter Babysitter – nämlich jemand, der eine wirklich
entscheidende Rolle spielt. »Keine Sorge«, fuhr ich langsam
und aalglatt fort. »Du kommst nach Nereus. Aber zu meinen
Bedingungen. Die da oben wollen, daß ich einen Schlingbaum in
irgend so einem weit entfernten Hydrasteroidengürtel finde. Das
heißt, du wirst Lilit erst in zwei ganzen Jahren – drei ganzen Jahren zurückkriegen.«
»Was ist mit diesen Alptrinkern?«
»Mit denen wird der Roboter schon fertig. Er war früher
Leibwächter.« (Sieh’s mal so, Iggi – es ist keine
Spionage, aber immer noch besser, als Getränke zu servieren und
Nachrichten zu überbringen.)
Talas stammelte einen langen, grammatisch nicht zu analysierenden
Satz, dem ich entnahm, daß sie bereit war, mir Lilit
›für drei Jahre auszuleihen‹ (auszuleihen!), woraufhin letztere ins Zimmer zurückkam. Urilla schlurfte
hinter ihr drein.
»Ich mag deinen Roboter, Vater.«
Sieh an, sieh an – die Kleine hatte beschlossen, mich von nun
nicht mehr ›Papa‹, sondern ›Vater‹ zu nennen. Ich
fand das ganz reizend.
Lilit warf ihren Zeichenblock auf einen Liegestuhl. Fatalistische
Resignation. »Ich muß bei dir bleiben, oder?«
»Ja«, antwortete ich, wobei mir das Herz blutete,
»aber wir werden nicht lange in Shadu bleiben. Wir brechen bald
zu einem Abenteuer auf. Dann werden wir viel Spaß haben,
wir beide.«
»Spaß«, wiederholte sie skeptisch.
»Heißt das, daß ich nicht mehr zur Schule
muß?«
»Zur Schule? Nein, wir werden wohl kaum in die Nähe von
irgendwelchen Schulen kommen. Iggi wird dich
unterrichten.«
»Toll!«
Talas starrte mich jetzt mit einem Blick an, wie ihn ein Zauberer
in einer Horrorkapsel benutzt haben mochte, um einen Störenfried
in Quarz zu verwandeln. Aber sie hielt den Mund.
»Was ist mit der da?« fragte Lilit, nahm ihren
Block und zeigte damit auf Urilla.
»Oh, die ist auch bei dem Abenteuer dabei«, antwortete
ich. »Sie wird deine Stiefmutter sein.«
»Eine Stiefmutter!« schwärmte Urilla, froh
über den Einstieg in Lilits Leben. »Ich hätte nie gedacht, daß ich die Rolle kriege! Ich bin nicht mal böse!«
Stiefmütter haben’s leicht.
Was tun? Später an diesem Abend, als Lilit schon schlief,
ging ich zum einzigen Bildungssalon in Shadu – dem Piaget –
und verschlang Dr. Morris Hexclouters Selbsthilfekapsel Wie man
mit seinem heranwachsenden Kind fertig wird. Behandeln Sie Ihre
Teenager-Tochter mit Würde, war Dr. Hexclouters Rat. Bringen Sie
Festigkeit und Respekt in ein ausgewogenes Verhältnis. Und
spielen Sie nicht den Beschützer – sie ist kein Kind mehr.
Das schien mir ein klägliches Rezept zu sein.
Selbstverständlich mußte man seine Kinder beschützen.
War Hexclouter in letzter Zeit nicht mehr aus dem Haus gegangen? Die
Milchstraße war ein ziemlich verderbter Ort – schon der
Name war völlig daneben, eine Galaxis, die eher aus Blut und
Scheiße denn aus Milch war, voller Lügner, die einem
auflauerten. Die ›respektvolle Festigkeit‹ machte jedoch
teilweise Sinn. Ich gab Wie man mit seinem heranwachsenden Kind
fertig wird zweieinhalb Sterne.
Frühmorgens: ein guter Start. Nach einem unter
ernährungswissenschaftlichen Gesichtspunkten (meiner Meinung
nach) vertretbaren Frühstück mit gefüllten Krapfen und
zuvor hartgekochten Eiern kletterte Lilit doch tatsächlich auf
meinen Schoß. »Erzähl mir eine Geschichte,
Papa.«
»Ich dachte, ich wäre Vater.«
»Früher hast du mir immer Geschichten
erzählt.«
»Bist du nicht ein bißchen zu alt?«
»Ich mein doch keinen Kinderkram, keine Märchen.
Erzähl mir eine Geschichte wie die in den Hirneiern, über
die du
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