Der Kontinent der Lügen
bei einem
Voodoo-Vektor-Trip keinen Kokon benutzte, sah man hinterher wie etwas
aus, was nicht einmal die Katze mehr freiwillig ins Haus schleppen
würde.
Vor dem neunten Jahrhundert hatten die interstellaren Raumschiffe
noch keine privaten Kokons besessen. Man setzte seine Sauerstoffmaske
auf, zog sich aus und sprang zusammen mit seinen Mitreisenden mit den
Füßen voran in einen großen Bottich Dschungelee.
Ich drückte Basil an meine Brust und begann langsam in die
Tiefe zu sinken. Binnen kurzem war ich ganz untergegangen. Mir war
angenehm warm; ich war stockblind und – wie es schien – so
sicher vor Stößen wie eine Uhr in einer Matratze. Ich sage
›wie es schien‹, denn als die Schockwelle kam, die die
Aufhebung der örtlichen Raumzeit mit sich brachte und die
spezielle Relativitätstheorie in Trümmer legte, wurde das
Gelee unvermeidlicherweise von seltsamen Partikeln durchstoßen
und mein Körper von übernatürlichen Winden
geschüttelt. Ich benötigte meine ganze Kraft, um den
erschrockenen Kater daran zu hindern, sich die Maske
herunterzureißen.
Vektor 41 verschlang uns.
Ich tauchte gerade rechtzeitig auf, um zu sehen, wie Lilit aus der
Suppe hochkam. Sie schwamm zum Rand des Bottichs. Lilit, meine Lilit
– unschuldig und ohne Scham, während das dicke, klebrige
Gelee ihr wahres Alter verbarg und sie in das neugeborene Kind eines
weisen, fruchtbaren Sees verwandelte. Die Wassernymphe erreichte das
Ufer und verschwand.
Baptizer, Urilla und ich einigten uns ohne Schwierigkeiten darauf,
daß unsere Operationsbasis Uggae sein sollte, das einzige
Gebilde im Sabik-Gürtel, das kein Hydrasteroid, sondern ein
echter, bewohnbarer Planet mit Sauerstoffatmosphäre, einem Boden
aus echter Erde und Leben auf der Oberfläche war.
Damit sich unsere Anwesenheit auf diesem Planeten so wenig
herumsprach wie möglich, zogen wir alle ins Gasthaus zum
Verrückten Raben, ein steinzeitliches Hotel, das gute hundert
Kilometer von den nächsten Bevölkerungszentren entfernt
war. Zerbröckelnd und ungepflegt erhob sich der Verrückte
Rabe über einem See von solchen Dimensionen, daß andere
Planeten ihn voller Stolz als Meer bezeichnet hätten. Der See
war aus der Vereinigung eines Meteorkraters mit einem unterirdischen
Strom entstanden und trug den Namen Rosamunde. Geld war offenbar kein
Hindernis beim Bau des Verrückten Raben gewesen, schlechter
Geschmack aber auch nicht. Die Tanzflächen waren mit Edelsteinen
gepflastert; das Restaurant zum Lustigen Hexenmeister war ein Wald
aus Basaltsäulen, die mit lüsternen Faunen verziert waren;
und in jeder der zweiundachtzig Privatsuiten biß sich die
vergoldete, selbstgefällige Tapete aufs heftigste mit der
phosphoreszierenden Bettwäsche.
Ein Blick auf den Raumhafen des Verrückten Raben reichte, um
zu erkennen, daß das Gasthaus in finanziellen Schwierigkeiten
steckte. Abgesehen von der Fleischtopf lagen hier nur ein
halbes Dutzend andere Schiffe, die etwa zwanzig zahlende Gäste
repräsentierten. Auf diesem obskuren Planeten mit einem einzigen
Industriezweig schien der Verrückte Rabe so unnötig zu sein
wie die Schaltkreise auf dem Gesicht von Iggi dem Roboter. Warum war
das Ding dann gebaut worden? Ich ließ an der Bar des Lustigen
Hexenmeisters ein paar beiläufige Bemerkungen fallen und bekam
eine einigermaßen befriedigende Antwort. Anscheinend hatte eine
Gruppe hoch pokernder Unternehmer vor ein paar Jahren beschlossen,
aus dem Sabik-Gürtel eine Touristenfalle zu machen. KOMMEN SIE
NACH GIDIM-XUL UND SCHAUEN SIE SICH AN, WIE ZEPHÄPFEL
GEZÜCHTET WERDEN. HIER BEKOMMEN SIE EINEN VORGESCHMACK AUF DIE
GROSSEN TRÄUME VON MORGEN. Die Idee starb auf dem
Reißbrett – was man vom Verrückten Raben leider nicht
sagen konnte. Der Grundstein wurde gelegt, man zog die Mauern hoch,
und das Gasthaus begann keine Touristen, sondern einen
unberechenbaren Strom von Einsiedlern, Eremiten, Flüchtlingen,
Verbannten, Exilanten, Verbrechern, Außenseitern,
Verrückten und freudlosen Gesichtern anzulocken, die nirgends
anders hinkonnten.
Und hinter dem Gasthaus, jenseits des Sees: Die Stadt
Gidim-Xul.
Wie jedes große und schwindelerregende Gewinne abwerfende
Unternehmen hatte die Kunst des Traumwebens gewisse Ungerechtigkeiten
auf dem Kerbholz. Gidim-Xul wies diese Ungerechtigkeiten nicht nur
auf, sondern schien sie durch einen topographischen Zufall geradezu
satirisch zu überhöhen, wie eine politische Karikatur. Am
Fuß vulkanischer Berge breiteten sich die Viertel aus,
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