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Der Kontinent der Lügen

Der Kontinent der Lügen

Titel: Der Kontinent der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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die von
den arbeitenden Armen der Stadt bewohnt wurden, den
Zephapfelpflückern, deren Leben aus langen, trüben Stunden
bestand, in denen sie zu den Hydrasteroiden pendelten, und
längeren, noch trüberen Stunden, in denen sie die
Träume pflegten und ernteten. Währenddessen schmiegten sich
Anwesen mit hohen Mauern, die den Herren der Industrie gehörten
– den Züchtern –, an die Hänge der Berge,
überschatteten die Häuser der Pflücker und
unterjochten ihre Seelen. Wie es das Schicksal und der Symbolismus
wollten, lebte Gidim-Xuls dritte soziale Schicht sowohl unterhalb der
Pflückerviertel als auch der Villen der Züchter. Das
Treibgut – so lautete ihre für sich selbst sprechende
Bezeichnung – hatte seine Hütten in großen Gruben
aufgeschlagen, die durch den Zusammenbruch erloschener Vulkane
entstanden waren.
    Dieses Treibgut gab es nicht nur in Gidim-Xul. Nahezu jeder
Hydrasteroidengürtel im Terransektor hatte sein Kontingent
wurzelloser Elendsgestalten angelockt, die auf der Suche nach Arbeit
als Pflücker kamen, statt dessen jedoch Erniedrigung,
Demütigung, Hoffnungslosigkeit, Müll, Armut, Verwahrlosung,
Unterernährung, Alkoholismus und die Asche trostloser Calderas
vorfanden. Für diejenigen von uns, die sich darum bemühten,
ein neues Vorka-Massaker zu verhindern, waren die Angehörigen
des Treibguts jedoch weder Parasiten noch Parias. Jetzt, wo die Suche
nach der Hamadryade zu einer Leiche geführt hatte, wo der Mord
an Atropos im Webbuch stand, hatten wir angefangen, die Zahl der
Menschen, denen wir trauten, strikt zu beschränken. Von
Gidim-Xuls drei Kasten würden nur die Angehörigen des
Treibguts mehr zu gewinnen haben, wenn sie in unsere Dienste traten,
als wenn sie uns in den Rücken fielen.
    Wir begannen damit, uns in den diversen Spelunken und Bordellen
herumzutreiben, die es in den Vierteln des Treibguts massenhaft gab,
und mit den Kneipenhockern, die uns am geeignetsten erschienen,
Karten zu spielen. Sieben Todsünden, der Geber sagt an. Unser
Ausflug ins Cafe der Wandelnden Schatten ist der einzige, an den ich
mich noch erinnere – derjenige aus dem Wust dieser
Ausflüge, den mein Gedächtnis herausgegriffen und zur
Quintessenz gemacht hat. Zu dem Treibgut, mit dem wir an jenem Abend
sprachen, gehörte eine fünfzigjährige ehemalige
Prostituierte namens Abbie Veel; ein lakonischer
Kidnipsüchtiger, den jeder Spike Hooter nannte; und Mondgesicht
– einfach nur Mondgesicht, Leute –, ein Jüngling,
dessen Gesicht von Pickeln und stumpfen Rasiermessern verunstaltet
worden war.
    Der erste große Topf des Abends ging an Baptizer. Spike
Hooters drei Lustmolche und Abbie Veels zwei Paare Faultiere und
Geizkragen waren den vier Vielfraßen des Piraten unterlegen.
Baptizer strich die Chips ein und fragte plötzlich: »Was
ist die höchste Summe, die ihr je in einer Nacht mit den Sieben
Todsünden gewonnen habt?«
    »Dreißig Furniere«, sagte Spike Hooter.
    »Fünfundsechzig«, prahlte Abbie Veel.
    »Ich weiß, wo ihr hundert Furniere für einen
Zephapfel kriegen könnt«, flüsterte Baptizer.
    Die drei Angehörigen des Treibguts beugten sich gespannt
vor.
    Der Pirat griff in seinen Mantel, zog eine zusammengerollte
Himmelskarte heraus und rollte sie auf dem Tisch aus. »Hier ist
der Gürtel – Uggae und seine tausend Farmen.« Er legte
den Finger auf ein Pentagramm, das Gidim-Xul darstellte, und
ließ ihn über einen daran angrenzenden Schwarm von
Hydrasteroiden gleiten. »Jeden Morgen verläßt ein
Konvoi von Raumbussen die Pflückerviertel. Die Busse machen die
Runde und setzen Arbeitstrupps ab. Sie liefern auch Vorräte
aus.«
    »Kisten mit Dünger und Insektiziden«, erklärte
ich. Baptizer und ich beherrschten unseren Text aus dem Effeff.
»Aber manchmal ist ein blinder Passagier in einer der Kisten.
Kapiert? Ein blinder Passagier.«
    »Ein blinder Passagier«, wiederholte Mondgesicht
lethargisch. Er war nicht gerade der Schnellste von Begriff.
    »Also, wenn ihr euch auf eine Plantage geschmuggelt
habt«, sagte Baptizer, »braucht ihr nur einen Zweig zu
finden, der Früchte trägt, und einfach eine Kapsel
abzupflücken.«
    »Aber bleibt wach«, ergänzte ich. »Wenn die
Wachposten euch dabei erwischen, werden sie vermuten, daß ihr
Stammgäste von Psychosalons seid, die ihre Kosten reduzieren
wollen.«
    »Schlingbaum-Wachposten – ein übles Pack«,
sagte Baptizer, ein Esel, der den anderen Langohr schimpfte.
»Habt ihr mal einen kennengelernt? Sie streifen wie hungrige
Wölfe

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