Der Kontinent der Lügen
Positionspapieren in
der Hand im Salon materialisieren möge oder daß
Jean-Jacques Rousseau persönlich mit einem Exemplar des Du
contrat social unter dem Arm vorbeikäme. »Äh…
mir scheint, daß Menschen oftmals Dinge tun, die man nicht
vorhersagen könnte, wenn man sich nur an ihren Genen orientieren
würde. Zum Beispiel Gedichte schreiben, Phrensamen herstellen
und…«
»Und Geburtstagsgeschenke machen?«
»Ja. Und Geburtstagsgeschenke machen.«
»Also muß mich sogar Jonnie mögen.«
Jonnie? dachte ich.
»Ich mag ihn«, fuhr Lilit fort. »Ist dir
klar, daß ihm dieses Schiff gehört? Er kann es fliegen.«
»Jonnie ist… interessant.« (Interessant. Wie alle
Kritiker wissen, ist dies das schlimmste falsche Lob.)
»Jonnie ist wundervoll.«
»Na, na«, sagte ich, bemüht, das Thema zu wechseln.
»Vierzehn. Wir sollten wahrscheinlich darüber sprechen.
Vierzehn. Wir sollten wirklich mal miteinander reden.«
»Reden?«
»Du weißt schon – vierzehn. Reden. Über die
Menstruation.«
»Die Menstruation?«
»Ja.«
»Was möchtest du drüber wissen?«
»Nichts. Ich meine, hast du keine Fragen?« Ich blickte
auf und sah, daß die verspiegelten Säulen im Salon das
alles auffingen, so daß sich jetzt neun verschiedene Quinjins
vor neun verschiedenen Lilits zum Narren machten.
»Ich hab meine Menstruation, wie du’s nennst, jetzt
schon seit drei Jahren.«
»Oh. Gut. Ich meine, in Ordnung. Ich meine, ich dachte, ich
sollte das Thema mal anschneiden.«
»Du klingst wie Mutter. Das Thema
anschneiden.«
»Ich schätze, du vermißt deine Mutter.«
»Wie ich die Sache sehe, würd’s mich nicht geben,
wenn ihr euch nicht begegnet wärt.«
»Stimmt… oder vielleicht wärst du jemand
anders«, sagte ich.
»Trotz unserer… Scheidung« – sie versteifte
sich wieder, als ob sie eine neue Runde Geburtstagsgeschenke
öffnen wollte – »hab ich mich also
durchgesetzt.«
»Meine Scheidung, nicht deine. Talas und ich haben sich
scheiden lassen.«
»Ja, natürlich vermisse ich sie – aber sie
hätte mich nie in Werwölfe der Schwerelosigkeit mitgenommen wie du – oder zum Irrenschiff oder zu einem
Zephapfel-Festival – oder mir einen Kuchen gebacken – du
bist besser als sie.«
»Vergleich uns nicht miteinander.« Aber um absolut
ehrlich zu sein, Lilits Bemerkung freute mich. (Du hast’s
geschafft, Quinjin! Respektvolle Festigkeit zahlt sich aus!) Sie
freute mich zumindest so lange, bis ich eine Träne aus ihrem
linken Auge rollen sah.
»Du bist besser, Vater«, fuhr sie fort. »Du bist
besser«, schluchzte sie.
Und plötzlich lagen wir uns in den Armen, umarmten uns mit
der total hingebungsvollen und unerotischen Leidenschaft, die
väterliches und kindliches Fleisch füreinander empfinden,
drückten uns so, wie ich sie seit vier Jahren ans Herz
drücken wollte, umarmten uns mit einer Gewißheit, die
besagte (von mir zu ihr): Ja, es ist endgültig aus, deine
Mutter wird immer meine Exfrau sein, aber du wirst niemals meine
Extochter sein.
»Ich bin nicht besser, Lilit. Es tut mir leid. Du brauchst
nicht zu sagen, daß ich besser bin. Ich bin nicht besser. Ist
schon okay. Du bist besser.«
Ein Schauer lief durch Lilits Leichter-als-Luft-Knochen. Sie zog
den Schleim wieder in die Nase hoch. Ein Klecks blieb zurück,
trocknete, machte ihre Haut runzlig und sagte mir, daß eines
Tages sogar sie alt sein würde.
Genau ein Jahr nach unserem Abflug von Zahrim stahl sich das
Portal von Voodoo Vektor 41 auf das ovale Panoramafenster, das das
Aussichtsdeck der Fleischtopf beherrschte.
Das Portal war unheimlich, wie es seiner okkulten Funktion
entsprach. In meinen Augen sah es wie der Schließmuskel einer
riesigen, in kosmologischer Hinsicht willkommenen Bestie aus, die
Chaos fraß und das Periodensystem der Elemente ausschied. Im
Zentrum eines Mandalas aus Dschungelee – jenes schwarzen,
geheimnisvollen Schleims, der sich während der Geburt der
rätselhafteren Planeten von Terransektor in bestimmten
geologischen Schichten abgelagert hatte – befand sich ein Loch
mit einem Durchmesser von exakt einem Kilometer. Das Loch
öffnete sich und schloß sich, öffnete sich und
schloß sich… Wenn man sein Schiff sicher durch dieses Tor
brachte, traten die Gesetze des Sternenspringens in Kraft und
schleuderten einen in den Hinterhof des Sabik-Systems.
Über Interkom verlieh Jonnie seiner Meinung Ausdruck,
daß wir uns in unseren Kokon begeben sollten, und dagegen war
nun wirklich nichts einzuwenden. Wenn man
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