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Der Kontinent der Lügen

Der Kontinent der Lügen

Titel: Der Kontinent der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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frühstückten Lilit und ich am
nächsten Morgen miteinander, als ob nichts passiert wäre.
Wir unterhielten uns über Physik, Horrorkapseln und den
Verrückten Raben sowie darüber, was Lilit werden wollte,
wenn sie groß war. Künstlerin, sagte sie.
    Es war noch nicht an der Zeit, die Wunden namens HAUSBOOT und
JONNIE RONDO wieder aufzureißen.
     
    Und die Träume kamen weiterhin herein.
    Wochen vergingen und wurden zu Monaten. Baptizer und Jonnie
testeten hundert, zweihundert, dreihundert, vierhundert Äpfel,
und immer noch war die Hälfte des Gürtels vom Diebstahl
verschont geblieben.
    Der vierhunderteinundfünfzigste Apfel wurde von einer
Angehörigen des Treibguts namens Annie Stetch gebracht, einer
verhutzelten Frau, die so aussah, als ob sie ihre Abende damit
verbringen würde, Echsenbeine und Eulenflügel in Suppen zu
rühren. »Hydrasteroid 888«, gackerte Annie, als sie
ihre hundert Furniere einsteckte.
    Routine, Routine, langweilig, langweilig. Ich trug die Nummer ins
Logbuch ein, strich die Farm von der Karte und ging nach oben.
Baptizer war mit dem Testen dran. Er führte Annies Kapsel mit
einem Ruck an den Mund und punktierte sie mit seinen
Schneidezähnen. Ein Saftrinnsal verschwand in seinem Bart.
    »Den Geschmack kenne ich«, sagte er. »Aber ist das
der Traum, den wir suchen? Was meinst du, Kritiker?«
    »Keine Ahnung.«
    Eine Stunde später wußte ich es. Ich war gerade wieder
im Solarium und kaufte Obst, als Boo Paesurely, der Inhaber des
Verrückten Raben, mit Lauten und Gesten der Erregung angelaufen
kam. Boo war ein krankhaft schüchterner junger Mann, der nur
etwas sagte, wenn er angesprochen wurde, und manchmal nicht einmal
dann; wenn er aufgeregt war, dann gab es auch einen triftigen Grund
dafür. »Ihr Freund«, sagte er knapp und vorsichtig,
als ob seine monatliche Quote von Worten bald voll wäre.
»Dieser Baptizer Brown. Er ist außer Kontrolle.«
    Wir verließen zusammen das Solarium, und noch bevor wir im
Foyer ankamen, hörte ich die verräterischen Schreie:
»Kein Schlüssel! Kein Schlüssel!«
    Ein Kreis hatte sich gebildet. Jonnie, Lilit, Iggi, Urilla und
drei Betrunkene aus dem Lustigen Hexenmeister. Im Mittelpunkt tobte
Baptizer wie ein wandelnder Vulkan. Er taumelte besinnungslos herum,
stieß Stühle um, krachte in Urnen hinein, die mit wilden
Dingen aus den Sümpfen des Rosamundesees gefüllt waren, und
verwandelte den Teppich in eine chinesische Lackarbeit aus Blumen,
Farnen, Wasser und Scherben. Er war blind.
    »Kein Schlüssel!«
    Plötzlich fuhr er herum und stapfte auf Lilit zu, die ihm mit
dem gesunden Menschenverstand einer Vierzehnjährigen aus dem Weg
ging.
    Dann erkannten wir zu unserer kollektiven Bestürzung, wie die
Episode enden würde.
    Baptizer bewegte sich in Spiralen zur rückwärtigen
Veranda, und wir rannten alle rechtzeitig genug hinaus, um zu sehen,
wie er mit dem Bauch voran in die Balustrade hineinlief. Der Aufprall
ließ seinen Kopf nach vorn und seine Füße gen Himmel
schnellen. Um sich schlagend und fallend schrie er seinen
Lotoskapsel-Katechismus heraus.
    »Mein einziger Gott ist Goth! Mein einziger…«
    Das Klatschen schien laut genug zu sein, um den Rosamundesee
trockenzulegen. Das aufspritzende Wasser sprühte uns ins
Gesicht.
    »Goth!«
    Er ertrank nicht. Nachdem er einmal untergegangen war, zeigte sein
Körper einen nicht unerwarteten Auftrieb, schoß wieder an
die Oberfläche und dümpelte dort.
    Urilla und Jonnie beförderten ihn gemeinsam irgendwie ans
Ufer – Schlepper, die einen Tanker zogen.
    Ich kehrte ins Solarium zurück und sah im Logbuch nach, um
meine Erinnerung zu erhärten. War Annie gerade vom
Hydrasteroiden 888 gekommen? Ja, 888. Wir hatten unsere Beute endlich
aufgespürt. Wir hatten den Unheiligen Gral endlich gefunden.
    Die Hamadryade war gestellt.

 
7

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Überfall
auf eine
Traumfarm

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    In einer seltenen Abweichung von seiner üblichen steifen
Prosa stellt das Handbuch der Terransektor-Marine fest, der Anblick
eines aus dem Himmel herabsausenden und landenden Vulkanbombers
reiche, um ›Pflanzen vor Stress welken, Tiere vom Schock
sterben, Kinder vor Schrecken ohnmächtig werden und Erwachsene
vergessen zu lassen, daß man ihnen beigebracht hat, sich nicht
in die Hose zu machen‹. Als Boo Paesurely mitansah, wie ein
Vulkanbomber namens Dante auf dem Raumhafen seines Gasthauses
landete und kreischend abbremste, kam er in den Lustigen Hexenmeister
gerannt und gab dabei Laute von sich, die in der Tat

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