Der Kontinent der Lügen
Flick auf und schleuderte ihm eine Anklage entgegen, deren
Ungerechtigkeit mir schon klar war, ehe ich sie ausgesprochen hatte.
»Du hast uns in den falschen Lauf geführt! Ich dachte, du
kennst dich hier aus!«
»Wir wären pulverisiert worden«, gab er
zurück, »zermalmt wie die von dem kosmischen Tintenfisch
verschlungene Fregatte in…«
»Lichtgeschwindigkeiten«, warf ich ein.
»Also, diese andere Fahrrinne sah tief aus, und ich möchte,
daß wir die nehmen!«
»Könnte tief sein, könnte aber auch flach
sein.«
»Das läßt sich ja rausfinden!«
Unser Skiff, das – wenn auch nur knapp – flott war, hing
jetzt an unserem Achtersteven fest. Ich lief hin und kletterte
über das Dollbord.
Die Schleppleine loszumachen war kein Problem, und auch das Ruder
ließ sich leicht zusammenbauen, indem man das Blatt in die
Stange steckte. Aber dann fingen meine Schwierigkeiten an. Die
Strömung war so stark, daß es die reinste Sisyphusarbeit
war, dagegen anzurudern; ich kam drei Meter vorwärts und fiel
wieder zwei zurück. Es war wirklich eine lahme Komödie, die
kaum den vom Narrenparadies gesetzten Mindestanforderungen
genügte.
Von denen, die sich die Schau ansahen – Jonnie, Iggi und
Flick –, kam nur Iggi auf den Gedanken, mir zu helfen. Er watete
zum Skiff, zog mich aus dem Heck, sprang an Bord und riß mir
das Ruder mit einer Anmaßung aus den Händen, die ich
aufreizend fand.
Ich schluckte meinen Stolz hinunter.
Von seinem neuen, lebendigen Motor angetrieben, fuhr das Skiff
gegen die Strömung der Fahrrinne. Der riesige Ast flog vorbei.
Bald war die Amarant außer Sicht, und mit ihr ließ
ich Flicks Gejammer hinter mir, daß mein Unternehmen
leichtsinnig, unbedacht, vergeblich, dumm und schädlich sei und
ganz gewiß in einer Katastrophe enden werde. (Und ich dachte:
Na und? Wenn die Pfahlwurzel so nah und die Geschichte vom Schatz so
glaubwürdig ist, wenn meine Rache so kurz bevorsteht, sind dann
solche Aktionen nicht das einzig Richtige?)
Und weiter ging’s, unser Skiff gegen den Lethe, eine Sichel
gegen Weizen. In nicht einmal einer halben Stunde hatten wir den Weg
der Amarant bis zur Gabelung zurückverfolgt. Seltsam
– von den Trommeln der Pflücker, die hier vorhin so laut
gedröhnt hatten, war jetzt nichts mehr zu hören. Ich fand
die Stille unheimlich.
Iggi benutzte das Ruder zum Lenken und steuerte uns nach
Südosten. Aufgewühltes Wasser begann an unsere Dollbords zu
lecken. Die Stromschnellen rülpsten wie ein kaputtes
Klosett.
Unsere Einfahrt in diese Wasserrinne war erneut vom Pech verfolgt.
Bevor wir ihre Tiefe feststellen konnten, griffen die
weißschäumenden Strömungen nach uns, packten uns und
warfen uns hin und her. Dann ragte auf einmal ein hoher, spitz
zulaufender Felsen vor uns auf, eine Haifischflosse aus Stein. Iggi
zog heftig am Ruder. Das Skiff drehte scharf ab, entkam dem
Schiffbruch nur um ein paar Zentimeter und tauchte in einen Strudel,
dessen Durchmesser der Länge unseres Rumpfes entsprach. Der
Strudel wirbelte unser Boot herum – einmal, zweimal, dreimal
– und schleuderte es davon!
Wir hoben ab.
Wir flogen.
Wir gruben uns ins Ufer und schlitterten auf einen Sandhügel,
der so weich und einladend wie ein Wasserbett war. In jeder anderen
Hinsicht jedoch war dieser Strand der falsche Ort für uns.
Sobald ich unsere Häscher sah, wußte ich, daß wir
bei unserem Flirt mit der Katastrophe schnurstracks im Ehebett
gelandet waren.
Die mehr als zwanzig Pflücker standen hoch aufgerichtet um
uns herum. Ihre Körper bildeten einen stinkenden Kerker aus
Fleisch, in dem Iggi und ich die einzigen Gefangenen waren. Sie waren
alle jung, wobei sich Weiblein und Männlein
zahlenmäßig die Waage hielten, und ohne Ausnahme behaart
und schmutzig. Und sie stanken; sie strömten einen Geruch aus,
der an Grorgmägen und aufgequollene Leichen erinnerte. Mit ihren
Heckensicheln und Kettensägen, Rasen-, Rosen- und Baumscheren,
Spaten, Insektizidharpunen und anderen Werkzeugen ihres ehemaligen
Berufsstands ähnelten sie am allermeisten einer
Selbstmordbrigade, die im Begriff steht, in einen hoffnungslosen,
unheiligen Krieg zu ziehen. Dank Gishbars Überredungskunst
hatten die Pflücker die Gewohnheit aufgegeben, sich etwas
anzuziehen, und nur jene paar Stoffetzen übrigbehalten, die ein
vager Rest von Schamgefühl verlangte. Kleidung also war hier
zwar aus der Mode, Schmuck jedoch nicht. Mein erschrockener Blick
schweifte über Helme aus gesponnenem Moos, Kopfschmuck
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