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Der Kontinent der Lügen

Der Kontinent der Lügen

Titel: Der Kontinent der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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warfen, stürzte ich zum Altar und kauerte mich
auf eine Art und Weise dahinter, die mir ungewollt in Erinnerung
rief, wie sich Broc Hornlaster in Unbekannte Parseks vor den
Raumpiraten versteckt.
    »Jetzt, Iggi!«
    Iggi gab der Bombe den Befehl.
    Das Geräusch der Explosion war ein merkwürdiges
Stakkato, und es klang beunruhigend organisch. Zwei unverdaute Herzen
schossen in den Himmel. Große Brocken des entthronten Gottes
sausten durch das Dorf, durchlöcherten die Palisade, mähten
die Exponate des lauernden Lügners nieder und
fällten das halbe Dutzend Pflücker, das sich geweigert
hatte, sich hinzulegen. Als es vorbei war, standen von Goth nur noch
zwei Beinstummel, die wie Baumstümpfe vom Boden aufragten.
    Der heilige Staub legte sich langsam. Die Pflücker standen
auf, und ich stellte mit gemischten Gefühlen fest, daß die
Opfer der herumfliegenden Trümmer zwar bluteten, aber nicht
ernsthaft verletzt waren. Alle waren völlig verblüfft von
dem Trick, und ich spürte, daß ein paar erwogen,
›Mein einziger Gott ist Varg!‹ zu rufen. Aber wir hatten
keine Zeit, unsere Göttlichkeit auszukosten. Der Roboter
mußte wieder zusammengebaut werden.
    Dieser Teil des Skripts war einfach. Ich sollte ihm die Organe
wieder einsetzen und die Brust mit Riemen zubinden. Iggis
plötzliche Enthüllung, daß diese Taktik nicht
funktionieren würde, war der schlimmste Moment meines Lebens,
seit Lilit die Lotoskapsel geschluckt hatte.
    »Man darf nie in die Brust eines Pseudokortex schneiden«, sagte er mit einer Art kalter Fröhlichkeit.
»Dabei trennt man nämlich die Hälfte seiner
motorischen Leitungen durch. Das ist die Wahrheit, Quinjin. Ich kann
nicht mehr laufen.«
    »Ich trage dich.«
    »Du willst dreihundert Kilo tragen? Mach dir keine Sorgen.
Ich werd’s schon überstehen.«
    »Nein, wirst du nicht. Die werden dich demolieren! Wenn ich nicht mehr da bin, brauchen sie keine Angst mehr zu
haben.«
    »Wir hätten ein besseres Skript schreiben
müssen«, war alles, was Iggi sagte.
    »Du Mistkerl, du hast gewußt, daß das
passieren würde!«
    »Ja. Altruismus ist auch in meinen Genen – wie das
Spionieren.«
    »Ich kann dich doch nicht einfach hierlassen.«
    »Doch, genau das wirst du tun, Quinjin. Hau ab, solange sie
noch durcheinander sind. Du mußt deine kleine Tochter
retten.«
    Ich weinte. Der Roboter konnte nicht weinen, aber ich wußte,
daß ihm die gelben Kugeln auf dem Altar außer
vorprogrammiertem Altruismus noch andere Gefühle erlaubten. Ich
nahm seinen schweren, aufgeschlitzten Körper in die Arme und
drückte ihn fest an mich.
    »Du bist ein toller Spion, Iggi.«
    »Ja. Sag mir, daß ich niemandem mehr
gehöre.«
    »Du gehörst niemandem mehr.«
    Und dann sagte der Roboter: »Gib Lilit einen Kuß von
mir.«
    Ich hatte drei Fluchtwege zur Auswahl. Der Kopf und die rechte
Hand des Götzen hatten mannsgroße Löcher in den Zaun
geschlagen. Eine seiner Schultern hatte das Tor geöffnet. Ich
stolzierte großspurig quer durchs Dorf – mein Ziel war das
Kopfloch –, und die Pflücker spritzten wie ängstliche
Kinder auseinander und machten mir Platz. Jedes Gesicht, an dem ich
vorbeikam, war vor Ehrfurcht erstarrt. Selbst der Häuptling und
die Priesterin verbeugten sich.
    Im gleichen Augenblick jedoch, als ich durch das Loch stieg, brach
alles in lautes, respektloses Geschnatter aus. Ich hatte hier
eindeutig keine neue Religion gestiftet und keine Jünger
gefunden. Ein Seitenblick ließ in der Tat entsetzliche Bilder
auf mich eindringen. Pflücker hatten sich um den Altar gesammelt
und beendeten die unblutige Sektion, die ich begonnen hatte.
Synthetische Organe flogen in alle Richtungen. Stumm verließ
Iggi diese und alle anderen Welten.
    Ich lief davon. Der Dschungel war voller stürmischer
Gebärden. Die Blätter vibrierten im Wind wie Klaviersaiten
unter unsichtbaren Fingern. Ich rannte und rannte. Als ich das
Flußufer erreichte, brach der Sturm los, ein kühles
Wiederauffüllen der mächtigen Wasser des Lethe, ein
seltsamer Regen, zugleich reinigend und verderbt, ein Regen, der die
Tränen verwässerte, die ich um den besten Babysitter
vergoß, den Lilit je haben würde, und der versprach, die Amarant zu befreien und mich ans Ende meiner langen Suche nach
der fruchtbaren Wurzel des Todes zu führen.
     
    Im Gegensatz zu meiner Flucht aus dem Dorf war meine Rückkehr
zum Floß so einfach und schlicht wie das Narrenparadies. Ich legte das Skiff frei, trug es flußaufwärts an den
Stromschnellen

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