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Der Kontinent der Lügen

Der Kontinent der Lügen

Titel: Der Kontinent der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Lotos-Institut. Sie wissen schon, die
Festung.«
    »Die Festung?« Die Witwe machte ein Gesicht, als ob sie
gerade den Kakodämon träumen würde.
    »Die Kharsog-Festung.«
    Ihr Blick zuckte hin und her. Sie holte gewaltig Luft und
ließ sie mit einem traurigen Pfiff wieder heraus. »Ich bin
keine Kapazität, mein Herr, aber ich weiß, daß die
Festung ein Reich des Bösen ist. Leute gehen hin und kommen
nicht mehr zurück.«
    Leute gehen hin und kommen nicht mehr zurück. Das war
der erste von etlichen schlechten Sätzen aus noch schlechteren
Horrorkapseln, die die Witwe bei der Wiedergabe der hiesigen
Gerüchte über die Kharsog-Festung benutzte. Zum Beispiel: Ich würde da nicht hingehen, wenn ich Sie wäre. Und
sogar: Die Leute sagen, in der Burg spukt es. Als wir
sie jedoch fragten, wie wir die Burg finden könnten, gab sie uns
eine präzise Antwort in lebhaftem Ton, in dem mitschwang,
daß es ja schließlich unser Begräbnis sei.
    »Baron Kharsog hat seine eigene private
Magnetschwebebahnlinie. Gehen Sie zum Bahnhof am Assalluxi-Platz.
Vielleicht verkauft man Ihnen dort ein paar Fahrkarten.«
    Auf diesen Hinweis hin trat ich fast unverzüglich in Aktion.
Ich überließ es Jonnie und Urilla, unsere Zimmer zu
begutachten und das Gepäck nach oben zu bringen. Ich mußte
einfach wissen, ob es schwer oder leicht werden würde, in die
Kharsog-Festung zu gelangen.
    Es würde ein einziger Hindernislauf werden. Das begriff ich
innerhalb von ein paar Minuten, nachdem ich Ushumgallums
großen, baufälligen und – wie zu erwarten war –
malerischen Bahnhof betreten hatte. Ich klopfte mir Schnee von den
Schultern und stellte mich in die kürzeste Schlange vor einem
der fünf Schalter. Als ich an der Reihe war, sah ich, daß
ich es mit einem jungen Mann zu tun hatte, der so
außerordentlich dünn war, daß seine Kleider an einem
Drahtbügel zu hängen schienen.
    »Ich möchte zur Kharsog-Festung«, sagte ich.
    »Ha!« erwiderte er.
    »Verkaufen Sie mir eine Fahrkarte?«
    »Nein.«
    »Oh?«
    »Sie sind hier falsch.«
    »Bei welcher Schlange muß ich mich anstellen?«
    »Bei gar keiner.«
    »Was soll ich dann tun?« fragte ich, wobei ich eine Hand
zur Faust ballte; ich war mir jedoch noch nicht schlüssig, ob
ich ihm damit drohend vor dem Gesicht herumfuchteln sollte.
    »Sie sollten wieder gehen. Aber wenn Sie einen von
Kharsogs Dienern finden wollen, dann gehen Sie nach unten. Zimmer
Siebzehn oder Siebenundzwanzig oder so. Vielleicht auch
Siebenunddreißig. Ist auf jeden Fall eine Sieben
drin.«
    »Wird mir der Diener eine Fahrkarte verkaufen?«
    »Wahrscheinlich nicht.«
    Ich ging nach unten.
    Als ich das Treppenhaus verließ, kam ich in einen
düsteren, endlos langen Korridor, der an Troglobusbahnhöfe
und Krankenhauskeller erinnerte. Die Wand zu meiner Rechten war leer.
Die Wand zur Linken wurde alle drei Meter von einer Tür mit
einem mattierten Transplastikfenster und einer arabischen Ziffer
unterbrochen.
    Ich ging zu Zimmer Siebzehn und klopfte genau auf die Sieben.
    »Herein.«
    Ein kleines Büro. Ein Schreibtisch. Der Mann, der
›Herein‹ gesagt hatte, kauerte vor einem Computerterminal.
Als ich näherkam, sah er mich mit den starren Augen eines Hais
an. Er war ein Riese: fettige, widerspenstige Haare, wie ein
Raupennest, Lippen, die tot aussahen, weil jedes Lächeln darauf
fehlte, und jene Art unverdienter Würde, die ich mit
Militärpersonal assoziiere. Auf seine Uniformjacke war ein Kreis
gestickt, der einen jener einseitigen, wie eine Acht geformten
Streifen enthielt, die man als Möbiusbänder bezeichnet.
    »Ich hätte gern ein paar Fahrkarten«, sagte
ich.
    »Sind Sie ein Schüler?« fragte der
Fahrkartenverkäufer.
    »Nein.«
    »Das Semester ist fast schon um, wissen Sie.«
    »Ich sagte, ich bin kein Schüler.«
    »Nicht? Was wollen Sie dann hier?«
    »Ich muß auf die Burg.«
    »Das neue Semester fängt nächsten Monat
an.«
    Ich wischte mir die Schultern ab, obwohl der Schnee längst
geschmolzen war. »Sagen Sie Ihrem Herrn, daß meine Tochter
sehr krank ist. Sie hat einen vergifteten Zephapfel gegessen. Ich
komme von sehr weit her, und ich glaube, er kann ihr
helfen.«
    Der Fahrkartenverkäufer machte ein finsteres Gesicht und
tippte etwas in den Computer, wobei er auf die Tasten
einhämmerte, als ob er ihnen zeigen wollte, was Schmerz ist. Von
der Stelle aus, wo ich stand, waren die Buchstaben, die auf dem
Bildschirm erschienen, nur verschwommenes Geflimmer.
    »Und nun?« fragte ich.
    Als sich die

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