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Der Kontinent der Lügen

Der Kontinent der Lügen

Titel: Der Kontinent der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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holojizierten Selig an, der an seinem
holojizierten Bart zupfte. »Diesmal wird uns die Giftschlange
nicht hereinlegen!« rief er. »Nennen Sie mir den Namen des
Planeten, und wir lassen die Terransektor-Marine über ihn kommen
wie Gott über Gomorrha!«
    »Das kann ich nicht zulassen.« Quinjin der Große,
Quinjin der Rätsellöser, Quinjin der Kritiker war auch
Quinjin der Vater.
    »Kusk wird von der Polizei gejagt!«
    »Und ich von der Verzweiflung. Bevor sie starb, hat mir die
Hamadryade erzählt, daß Kusk Lilit helfen kann.«
    »Ihr helfen? Seine verfluchte Kapsel hat sie beinahe umgebracht!«
    Ich hatte genug von Selig. Ich fand ihn ermüdend. Als ich zur
Kontrolltafel ging, verrieten mein zusammengepreßter Mund und
mein energischer Gang, was ich vorhatte.
    »In welche Burg?« sprudelte Selig hinter mir
hervor. »In welches abgelegene System? Quinjin, Sie
schützen einen Verbrecher! Sie machen sich der
Begünstigung…«
    Das Wort schuldig bekam er nicht mehr heraus. Mit einem
Fingerschnippen schickte ich sein Bild zur Wendcraft-Universität
zurück.
    Ich warf einen Blick auf Lilits Chronamulett. Es war Zeit für
den Tiefpunkt des Tages – Zeit, meine Tochter zu besuchen.
    Ihre Kabine war nur ein paar Meter vom Kommunikationsdeck
entfernt, aber es gelang mir immer noch, meinen Weg dorthin so zu
verzögern, daß ich fünfzehn Minuten für die
Strecke brauchte. Sie hatte eine ihrer jüngsten Zeichnungen an
die Tür gehängt – Goth, ihren Erlöser, Goth,
dessen Ebenbild mit dem aufgedunsenen Gesicht ich im Dorf der
Lotosschlucker gesprengt hatte. Hier haust die Unvernunft, warnte die
Zeichnung.
    »Sie hört Schritte«, sagte Lilit, als ich die
Warnung ignorierte und eintrat. »Vier Füße hat die
Ziege im Irrgarten, vierzig Füße die Larve von Goths
heiligem Nachtfalter, vier Billionen Füße haben die
Jünger des wahren Glaubens – aber dies hier sind nur zwei.
Ein Mensch also.«
    Sie erhob sich von ihrer Koje und schwebte wie ein Gespenst in
einer Horrorkapsel zur Speisekammer. Ihr weißes Haar
ähnelte stark einer schmutzigen Masse hoffnungslos verworrener
Angelleinen. Adern durchzogen ihre Augäpfel. Sie war ein
vierzehnjähriges altes Weib.
    Diesmal machte ich mir auch nicht einmal die Mühe, zu
betonen, daß ich ihr Vater war. Die Erfahrung sagte mir,
daß sie sicher behaupten würde, ihr Vater läge in
einem Brunnen und sei an einen Felsen geschmiedet.
    Lilit sprach also wieder, und sie bewegte sich ganz normal.
Anfänglich hatte ich diese Entwicklungen als Zeichen ihrer
Genesung betrachtet. Aber in den letzten paar Wochen hatte ich
zugeben müssen, daß sie nur eine neue Phase ihres
Wahnsinns darstellten.
    Sie machte die Tür der Speisekammer auf, griff sich eine
üppige Handvoll Schoko-Gummibomben und stopfte sie sich wie ein
Kanonier in den Mund, der eine Kanone lud.
    »Ich möchte, daß du mit uns zu Abend
ißt«, sagte ich. »Du verhungerst ja, wenn du den
ganzen Tag nur dieses Zeug da mampfst.«
    »Sie speist nicht mit Ketzern, Traumgestalt. Goth verbietet
es.«
    »Goth, Goth«, murrte ich.
    Alles war Goth. Während unseres gesamten Rückflugs von
Uggae hatte Lilit behauptet, von Goth schwanger zu sein. Ich hatte
die Apotheke der Fleischtopf durchstöbert, das
erforderliche Utensil gefunden und eine Blutprobe genommen; sie war
nicht schwanger, weder von Goth noch von sonstwem.
    Diese Nicht-Unterhaltungen endeten meistens damit, daß Lilit
zu dem Vokalitapparat ging, den ich ihr geschenkt hatte, und ein vage
obszönes Lied spielte, zu dem sie seit unserem Start eine
pathologische Zuneigung entwickelt hatte. Der heutige Nachmittag war
keine Ausnahme. Das Lied hieß ›Steck mein Schwert
ein‹, gespielt von einem ehemaligen Psychiatriepatienten und
bekannten Kidnipsüchtigen namens Rodnie Quash.
     
Beschwer dich nicht, wenn uns die Liebe fleucht
    Beschwer dich nicht, wenn ich erlahm
    Komm her zu mir und mach mich stark und feucht
    Dann rett’ ich dich von deinem Gram
     
    Ich schlüpfte zur Tür hinaus, während Rodnie Quash
hinter mir den Verstand meiner Tochter zum zehntausendsten Mal
narkotisierte. Seit hundert Tagen ging das nun so, und es war ein
Tribut an meine väterlichen Instinkte, daß ich ihr
während dieser Zeit nur einmal eine geklebt und nur zweimal den
Tod an den Hals gewünscht habe.
     
    Sobald wir die Raumboje von Alpheratz passiert hatten, konnten wir
unseren Kurs ändern und Voodoo-Vektor 72 anfliegen. Wir schossen
durch die metaphysischen Stromschnellen und landeten auf

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