Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932
keine Heimat. Kößlin glaubte fest, das sei seine Heimaterde, der sandige, zertretene Boden des Treibhausschuppens zwischen den Kisten.
IV
Nach der Kirche gingen Luise Merz und der Lehrer Heinrich Rifke in das Pfarrhaus, sich als Brautpaar vorzustellen. Frau Merz ging heim, um das Mittagessen fertigzumachen, kein Verlobungsessen, aber die erste Mahlzeit, die Rifke mit der Familie aß. Der alte Merz und der junge folgten der Einladung des Konrad Bastian.
Luise Merz trug einen Hut und ein dunkles städtisches Kleid. Sie war fast einen Kopf größer als ihr Bräutigam. Sie gingen noch nicht Arm in Arm. Aber die Bauern betrachtetensie schon einschätzend, wie man Brautpaare betrachtet. Rifke sah verlegen vor sich hin. Luise Merz erwiderte ruhig die etwas spöttischen Grüße, wobei sie die Brust herausdrückte und sich mit ihren dunkeln, glänzenden Augen stolz umsah. Die Bauern sagten: »Ist doch ein schönes Weib.« – »Die kommt eher zu ihrer Pension, als ihr lieb ist.« – »Vielleicht blüht er auf im neuen Bett.«
Sie traten durch den Laubgang in die Pfarrhaustür. Der Pfarrer Braumüller war schon in der Hausjoppe. Man sah ihm an, daß er bei seinem Amt viel Zeit fand für Gartenarbeit und Überlandfahren. Die beiden dünnen Narben auf seinen Backen waren nicht mitgebräunt. Er war noch nicht lange hier. Es hieß, er sei von seiner städtischen Gemeinde weg hierherversetzt worden. Er pflegte seinen Predigten zu viele Betrachtungen einzustreuen über weltliche Angelegenheiten. Aber Braumüller sah ganz zufrieden aus. Er hatte sich mit der Familie Breideis in Billingen angefreundet und wurde oft zu Überlandfahrten abgeholt. Sein Fenster ging nach hinten auf den schmalen Waldsaum. In vielen Vasen standen Dahlien, Goldlack und Sommerastern, an einer Wand stand ein Bücherbord, an einer anderen ein wuchtiger Schreibtisch, und darüber hing ein Bismarckbild und der Dürer-Luther und der Cranach-Melanchthon. Die Pfarrersfrau, sie war klein und kränklich und mitgenommen von drei Kindern, brachte offenen Wein und gerillte Gläser und Sandkuchen. Braumüller sagte: »Sie haben da einen sehr richtigen Entschluß gefaßt, Rifke. Das ist doch mal eine richtige Frau und gesund wie ’n Fisch. Sie waren zuletzt in der Stadt auf der Schule, Fräulein Luise?« Rifke antwortete: »Ja, sie war zwei Jahre in der Stadt in der Frauenschule. Das wär mir auch ’n komisches Gefühl in der Ehe, wenn aus meiner Frau nur rauskäme, was ich selbst in sie reingetrichtert habe.«
Alle lachten, bis auf Luise, die ruhig erwiderte: »Ich habe zwei Jahre Buchführung und Haushalt gelernt.«Braumüller sagte: »Da hat’s wohl früher manchmal ’n paar auf die Finger gegeben vom Herrn Bräutigam?« Rifke erwiderte unruhig: »Aber nein doch, sie war ordentlich.«
Er erinnerte sich gut an Luisens Hände, ordentlich gefaltet, etwas weißer als alle übrigen. Es hatte ihn manchmal in den Stock hineingejuckt, aber er hatte sein Stöckchen gezähmt, er hatte sich wohl gehütet, diesem großen, etwas trägen, früh entwickelten Mädchen auf die Finger zu klopfen. Mit einem Stockausrutsch vertat man sich da ein Honigglas oder einen Zwetschgenkuchen oder ’ne Blutwurst und vielleicht noch ganz was andres. Rifke hatte schon damals seine Pläne, wenn ihm mal die Mutter sterben sollte, die er ernähren mußte, und er hockte dann noch immer in diesem Nest, dann wollte er’s wenigstens mollig und bauchvoll haben.
Er erschrak, als Braumüller plötzlich fragte: »Herr Rifke, was sagen Sie denn nun eigentlich zum neuen Mann in Preußen?«
»Was soll man dazu sagen? Man muß erst mal abwarten.«
Da sagte Braumüller: »Na, Rifke, ich glaube, da braucht man mal nicht erst abzuwarten. Auf keinen Fall verbrennt man sich da die Zunge, wenn man brr! macht, weil man den alten los ist.«
Rifke dachte, der Herr Pfarrer müßte selbst am besten wissen, wie weit er sich’s leisten konnte, frisch von der Leber weg zu reden – vielleicht, weil er solchen Stadtfamilienanhang hatte. Heute morgen hatte Braumüller in der Predigt von dem Ochsenwagen erzählt, auf dem die Juden ihre Bundeslade mitschleppten – man konnte zur Erntezeit schwer ohne den alten Bund auskommen. Der Wagen war auf den Stoppelfeldern ins Holpern gekommen, hatte Braumüller den erstaunten Bauern erzählt, und die Bundeslade war gerutscht, und ein Mann hatte sie festgehalten. Der Himmel aber hatte ihm diese Vorsicht schlecht gelohnt, er hatte ihn auf der Stelle mit demBlitz erschlagen.
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