Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932
gesagt – «
Johann sagte: »Jetz is schon bald vier. Das brauch ich doch jetz nich zu hören.« Er hatte vor allem begriffen, daß er endlich in die Stadt konnte. Wie ein Stein hing das Dorf an seinem Fuß.
»Freilich brauchste, wenn du’s abgibst. Mußt doch wissen, woher’s kommt. Wie er nein gesagt hat, da hab ich gesagt, jetzt gerade, jetzt bohr ich allein, ich tu’s. Einmal hab ich gesagt, jetzt grade. Siehst du wohl. Wo is sie denn, unsere Dora? Soll sie das Geld sehen, daß sie’s weiß.«
Die Frau sagte: »Sie hat doch die Küh auf den Acker gebracht.« Johann sagte: »Kann ich mir nich vom Niklas ein Fahrrad leihen?« – »Kannst du nich. Du sollst nicht gefragt werden.«
Johann strich das Geld ein. Auf einmal sagte Bastian: »Nein, gib noch mal her. Red mit den Leuten. Du kannst doch reden. Red, du bringst in vierzehn Tagen die andere Hälfte. So.«
Als Johann draußen war, fuhr Bastian zusammen. »He, Margret, so viel Geld dem fremden Jungen!« – »Der gibt’sab. Der kommt wieder. Auch seine Jacke hängt da noch. Auch sein Rucksack.«
Als Johann die Zauntür hinter sich zudrückte, dachte er froh: Jetzt bin ich soweit. Eine halbe Stunde in der Stadt, und ich find meine Leute – wetten.
Susann Schüchlin stand am Fenster, ein winziges Kind in einem dicken, schmutzigen Tuch, und starrte ihn an mit hängendem Kiefer. Er nickte ihr zu. Wieder stieß er auf die hexische Neugebauer. Diesmal zog sie einen lärmigen Karren voll Gras und Löwenzahn und Brennessel. Ein Rudel jaulender Kinder umkreiste sie, rupfte ein paar Hände voll aus dem Karren, so daß sie halten mußte und auflesen. Johann wich ihr unwillkürlich aus. Das war wirklich eine säuische Person. Er half ihr dann doch schnell auflesen. Wo der Waldweg in den Platz hineinlief, stand ein alter, kleiner Mann mit einem Regenschirm. Er war dorffremd, aber die Leute grüßten ihn. »Tag, Herr Naphtel.« Das war wohl der Jud. Er sah Johann an, dachte wohl gleichfalls: dorffremd. Am Ausgang des Dorfes traf er Algeier, mit langen Armen gegen seinen Sohn fuchtelnd. Algeier sah ihn scharf an. Johann grüßte.
Er kam auf die offene Straße. Schon war alles eingebracht bis auf Kartoffel und Rüben. Fast sehnte man sich danach, die unruhigen, grünen, winzig gewellten Flächen der Rübenfelder möchten verschwinden, damit alles klar und fertig sei und erdfarben. Auf dem gelben Stoppelfeld gegen den Fluß zu lag die blaßgelbe, dreifach geteilte Wolke einer Schafherde. Auf dem schon dreiviertel braunen Acker ging ein Bauer in gelassener, ausholender Ruhe hinter seinem von zwei Pferden gezogenen Pflug. Mit seinem großen Bart sah er aus wie Gottes pflügender Sachwalter. Johann erkannte ihn: der alte Merz. Über die Wiese, aus einer in den Waldrand gekerbten Rodung kamen Axthiebe. Das war der Nachbarssohn Niklas. Johann lief. Niklas Heisler hatte ihm erzählt von seinem Besitz und von seiner geplanten Heirat. Er war in KunkelsOrtsgruppe eingetreten. Er und sein Vater erhofften sich etwas davon. Sein Vater hatte vom Krieg eine angeschossene Hand. Er hatte eine kleine Rente. Niklas hoffte, seinem eigenen Sohn das Erbe unverschuldet zu hinterlassen. Johann hatte gedacht, sein Vater würde ihm mal hinterlassen: einen Geburtsschein, eine Stempelkarte, ein Mitgliedsbuch der SPD, das seit zwei Jahren nicht mehr geklebt war. Jetzt waren rechts und links Felder mit Rüben. Die Landstraße lief über den Fluß, der leer und sonnig war. Johann pfiff. Das Gepfiff war noch immer in ihm. Alle hatten gepfiffen, obwohl ihre Backen starr waren. Er hatte selbst vor Frost gezittert in seiner Windjacke. In vielen Fenstern war das unruhige, flimmrige Licht der Weihnachtsbäume. In der Luft war der schwere, tausendjährige Ton des Weihnachtschorales. Sie pfiffen. Er bekam damals zum erstenmal auf den Kopf. Das erstemal war er stehengeblieben. Das zweitemal war er weitergegangen. Das drittemal hatte er zurückgeschlagen.
Er kam jetzt durch das Waldstück. Das tat einem gut, das abgedämpfte, zittrige Sonnenlicht. Er lächelte, weil er an Niklas dachte. Der hatte noch nicht mit seiner Frau geschlafen und dachte schon an den Erben. Er selbst wird wohl nie einen Sohn haben. Er hatte in der Stadt eine Hertha gehabt. Er hatte vor dem Fortgehen zu ihr gesagt: »Geh ruhig mit dem Otto. Er wird’s ja werden. Geh nur ruhig gleich mit ihm. Das macht mir nichts aus. Ich meine, das macht mir schon nichts aus, ob du morgen oder übermorgen mit ihm gehst.«
Er kam aus dem Wald
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