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Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932

Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932

Titel: Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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heraus. Wieder Kartoffeln, dann unbebaute Flächen. Er überholte ein ziemlich dickes Mädchen in einer rosa Bluse. Sie gingen minutenlang nebeneinander. Er hätte sie gern angeredet. Da redete sie ihn von selbst an: »Sie sind doch den Bastians ihr Verwandter?« – »Jawohl.« – »Ich bin die Marie Algeier. Da hätten wir den ganzen Weg zusammen machen können.« Sie erzählte ungefragt, warum sie in die Stadt ging.Sie wollte ab ersten Oktober wieder in Stellung. Sie ging zur Vermietfrau.
    »Das wird schwerhalten.« – »Ach, warum. Wenn ich im Zimmer von der Vermietfrau sitze, und es sitzen noch sechs, sieben neben mir auf der Bank, und es kommt ’ne Herrschaft rein und guckt uns alle an, dann wählt sie mich raus; denn das sieht sie mir schon an, daß ich Kraft habe und daß ich sauber bin.« Johann sah Marie schnell an, beide lachten. Sie gingen den Bretterzaun entlang durch den Sandbruch. »Ja, warum nich? Man kann sich zum Beispiel in Niederweilerbach treffen. Dort kann man rudern. Dort gibt’s immer mal ’n Boot.«
    Johann hatte lieber magere, hochbeinige Mädchen, braune oder weiße. Die da war rund und rot. Sie war auch sicher älter als er, aber ihr Blick gefiel ihm, und von unten nach oben, ruhig, so ruhig. Er dachte, es könnte ihm niemand nachtragen, nicht einmal der allerstrengste Mensch könnte ihm nachtragen, wenn er jetzt eine winzige Pause in allem Grübeln machte, eine Pause von zehn Minuten höchstens, und dann das Leben weiterleben ließ. Er hatte nur noch ein paar Groschen in der Tasche. Am Kanal vor der Eisenbrücke stand ein Wirtshaus. Marie sagte, es sei schon reichlich spät. Er sagte, die Hauptsache sei, daß man pünktlich an Ort und Stelle sei. Marie dachte, sie sei etwas schnell eingeladen worden und etwas schnell mitgegangen, aber die letzten Wochen waren schlecht gewesen, schlecht war der lange, vergrübelte Weg allein gewesen. Da war es schon besser, einfach mitzugehen, bevor einen die Traurigkeit verzehrte. Vor dem Wirtshaus war ein winziger Garten mit drei Platanen, unter jeder Platane ein Tisch. Sie tranken langsam aus ihren Gläsern. Sie wußten, ihre Zeit dauerte genau so lange, wie sie tranken. Johann hätte am liebsten gar nichts gesagt, aber er konnte Marie ja nicht einfach bitten, ihren überaus ruhigen Blick auf ihm zu lassen. So fragte er dann und wann etwas. Sie hatte auch wohl schon einen Freund gehabt. Er merktedas daran, wie sie die Hand für ihn hinlegte und ohne verkehrtes Lächeln antwortete. Es war kein aufgeregtes Gezuck an ihr, alles still. Er nahm ihre Hand. Er wußte, er war jetzt genau in der Mitte der Pause angekommen. Sie sahen einmal in die Luft. Da hingen in den Platanen komische, stachelige Knöllchen. Ein paar Bläuer fielen herunter, noch keine welken, nur schwer gewordene. Marie betrachtete ihn jetzt genau, froh, aber ohne Lächeln.
    Ein Dutzend Arbeiter kam aus der Schuhwichsfabrik über die Brücke. Sie traten ein und setzten sich an die freien Tische. Johann ließ Mariens Hand los und versuchte zu verstehen, wovon sie redeten. Sie redeten über alles, über die Regierung Papen, über den kommenden Winter, über die Wahlen, über Gold & Sohn. Marie ließ ihre Hand liegen, aber Johann beugte sich zurück, er war unruhig geworden. Plötzlich ergriff ihn eine gewaltige Angst, furchtbarer, als er je eine Angst gekannt hatte, der Todesangst verwandt. Er war wild geflohen, jetzt fürchtete er wirklich, sein eigenes Leben zu verlieren und nicht mehr wiederzufinden. Er mußte sofort in die Stadt, er brauchte Anrede und Anschluß. Er stand auf und ließ für Marie das Geld zum Zahlen zurück. »Es ist wirklich spät geworden. Wir können uns ja immer sehen.« Marie sah ihm erschrocken nach. An den Tischen lachten sie und riefen ihr zu: »Fräulein, Ihrer hat’s ja eilig!«
VI
    Johann kam auf eine asphaltierte, sauber gekehrte Straße. Er ging durch die Anlage in das Stadttor. Der Marktplatz sah in seiner Leere unverhältnismäßig groß aus. In der Mitte blühten zwei rote Schirme von Obstständen. Johann überquerte den Platz. Hier lag alles dicht beisammen, was in seiner eignen großen Stadt vervielfältigt durcheinander lief: Kirche und Markt und Geschäfte undein Knäuel verwickelter Gassen. Im Geschäft wollten sie die halbe Rate nicht annehmen. Aber Johann sagte: »Lassen Sie doch den Mann in zwei Raten zahlen. Da kommen Sie doch noch besser weg als mit Pfändung.« Der Inhaber sagte: »Und nächsten Monat?« Johann dachte: Da wird der Bastian

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