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Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932

Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932

Titel: Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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noch einmal mit klopfendem Herzen, ihm alles zu erklären. Während er redete, fiel Naphtels Blick auf das rote Plakat, das auf der gegenüberliegenden Wand hing. Die Zahl Fünfhundert sprang ihm sofort in die Stirn. Im nächsten Augenblick hatte er das Bild des dorffremden Jungen erkannt und alles verstanden. Er fuhr aber hastig fort, auf den alten Merz einzureden. Es war ihm ohne Nachdenken klar, daß der alte Merz unter gar keinen Umständen seine Entdeckung teilen durfte.
    Der alte Merz hatte sofort im Niedersitzen das Bild erkannt. Er ließ den Naphtel reden und reden, damit er sich nicht umsah. Er seufzte erleichtert, als Naphtel endlich aufstand und mit ihm fortging. Jetzt wollte er Naphtel nach Hause lassen und dann selbst auf das Stadthaus zurückkehren. Sie verabschiedeten sich. Naphtel wollte den Merz zur Brauerei gehen lassen, von wo ihn das Bierauto nach Weilerbach zurücknahm, dann wollte Naphtel ins Stadthaus zurückkehren.
    Der alte Merz ging dann auch langsam hinter seinem großen Bart trotz seinem ersten Vorhaben in der Richtung zur Brauerei. Die Sache war nicht ganz so einfach, wie er im ersten Augenblick gehofft hatte: Geld im Sack,ein Strolch weniger, der frei herumlief. Dieser junge Büttel hatte sich bei dem Andreas Bastian warmgegessen. Andreas Bastian war jetzt immerhin durch seinen eignen Sohn ein Anverwandter. Schwer zu sagen, was das Dorf, vor allem Konrad Bastian, dazu beigab. Unabhängig von seinen Gedanken machte der alte Merz einen Kehllaut für die Tauben, die vor seinen Füßen auf dem Pflaster pickten. Sie ließen ihn auch ruhig quer durch. Ein Hintern zwischen zwei Stühlen. Mit solchen Leuten hätte er gar nicht verschwägert sein sollen. Aber jetzt mit großer Kraftanstrengung sich widersetzen – dieser wilde, törichte Sohn – zu jedem Gedankenpunkt schlug der alte Merz mit dem Stock aufs Pflaster. Außerdem war ein Verlöbnisbruch für das ganze Dorf ein fettes Fressen. Da war der Sack den Bändel nicht wert. Am besten war es, das ganze Gekorkse für nach der Hochzeit zu verschieben. Er brauchte dazu kein Amt Billingen, er war sein eignes Amt. Der Junge ging ihm nicht durch die Lappen, das Geld auch nicht. Er nahm sich vor, daheim nichts zu sagen. Mit seinem Sohn war ohnedies nicht zu rechnen, bevor er endlich mit diesem dürrappeligen, bleichsüchtigen Mädchen geschlafen hatte.
    Naphtel wartete, bis der alte Merz in die gegenüberliegende Gasse eingebogen war. Er dachte nach, auf welches Amt er zu gehen hatte, mit welchen Worten seinen Anspruch anzumelden. Er dachte nach, ob das Geld vor Quartalsschluß in seinem Besitz sein konnte. Es war gerecht, daran zu verdienen, daß man einen wilden Menschen einsperren ließ, der sich schwer versündigt hatte. Vielleicht war es gut, einmal schnell nach Hause zu gehen und mit der Frau, auf die er große Stücke hielt, alles durchzusprechen. Er machte ein paar Schritte in den Platz hinein, ein Schwarm Tauben flog hoch und setzte sich dicht hinter ihm auf dieselbe Stelle nieder.
    Rar und bitter war das Geld. Naphtel wußte, wie bitter es war, und wie hart zu erlangen. Dennoch glimmte inseinem Herzen, im Erlöschen vielleicht schon oder erst im Glühen, ein Fünkchen von Widerwillen; heftiger als vor Mord oder vor Raub oder Lüge oder sonst einem Laster, uralter, dem unverfälschten Menschenherzen eingeglühter Widerwille, einen Verfolgten der Staatsgewalt auszuliefern. Wenn man dazu kommen könnte, ohne seinen Namen dazu zu geben, dachte Naphtel, wozu soll ich mich da einmischen? Wozu soll ich ihnen fangen helfen? Wozu soll ausgerechnet ich ihnen einsperren helfen? Wer hilft denn je mir? Wie geht es denn mir auf meine alten Tage? Ist Er mir entgegengekommen? Hat Er mir bloß die Geflügelkästen aus dem Hof gratis wegräumen lassen? Er wußte nicht, wen er mit Er meinte, den alten Merz, den Hausherrn Alwin Meier, den Staat oder Gott, an den er glaubte.
    Als er heimkam, fragte ihn seine Frau sofort bei seinem Anblick, was vorgefallen sei. Naphtel ging nicht wie gewöhnlich zu seiner Tochter hinunter, um mit der Enkelin zu spielen, sondern setzte sich gleich zu seiner Frau und erzählte ihr alles. Die kleine gelbe Frau mit ihren schwarzen Äuglein, ihrem schwarzgefärbten Haar und ihren Ohrringen erstaunte sich sehr und fragte des langen und breiten. Schließlich gab sie ihrem Mann recht. Als sie sich zum Essen setzten, fuhr der alte Naphtel hastig mit der Hand in die Weste, wie er es immer tat, wenn sein krankes Herz davonzuckte. Die

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