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Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932

Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932

Titel: Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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und warfen noch mehr Helligkeit auf die horchend zusammengezwickten Gesichter. Er las sich seine Antworten ab: Laß mich doch in Ruhe, und Du hast recht, Du verstehst dein Handwerk, und Schmier mir Rotz ums Maul. Schließlich blieb sein Blick an Algeier hängen, der, wie immer, wenn er ohne Hut dasaß, sich vor Ärger und Verlegenheit krümmte. In der klaren, sauberen Kirche schien der Blick, den der Pfarrer seinem Mann, der Mann seinem Pfarrer zuwarf, zu blinken und zu klingeln wie eine Münze.
    Nach der Kirche bewegten sich zunächst alle geschlossenauf den Platz zu, da das Wahllokal im Wirtshaus war. Der ganze Platz, die Dorfstraße, lag schon voll weißer und bunter Zettel; sogar auf den Dächern lagen welche, manche waren auf den Zäunen und in den Ästen der Linde hängengeblieben. An dem Wirtshaus war heut keine Fahne hoch, doch in der Gasse hingen vier Hakenkreuzfahnen – eine war inzwischen noch dazugekommen –, an die sich schon alle gewöhnt hatten, außerdem viele schwarzweißrote Fahnen. Es war windig und ziemlich kalt. Der Himmel war blau und grau gescheckt. Um den kleinen schwarzen Menschenknäuel herum sah alles bunter als sonst aus. Trotzdem waren die Menschen nicht fröhlich, sondern bedrückt und nachdenklich. Ein großes, mit SA vollbesetztes Lastauto sauste von Billingen her über die Straße mit wilden »Heil!«-Rufen und einer frischen Wolke von Flugblättern. Einen Augenblick wurden die Leute in zwei kleine Häuflein auseinandergerissen, aus denen einzelne nur jungstimmige Heilrufe zurückklangen. Eine Viertelstunde später folgte ein Auto mit schwarzrotgoldner Fahne, auf dem Männer saßen, die »Freiheit« schrien. Eine einzelne Stimme antwortete, der Mann der Hebamme Willgerber. Die meisten lachten und schüttelten die Köpfe. Nach etwa einer halben Stunde kamen zwei Naziautos dicht hintereinander langsam durchgefahren, wobei sie abwechselnd laut im Chor ihre Wahlaufforderung sagten. Auf den Gesichtern der Bauern lag Müdigkeit, Erstaunen und ein gleichmäßig verteilter Schimmer von Argwohn, daß sie letzten Endes irgendwie geprellt würden. Einige waren schon wählen gegangen und wieder zu den andern zurückgekommen. Einer sagte dem andern den Brocken, der ihm grade durch den Kopf ging, über die alte Regierung, über Hindenburg, über den Weltkrieg und über den Reichstag.
    Aus dem Lokal kam der erste Betrunkene des Wahltags, der älteste Sohn des Großmann, der sich gewöhnlich ebenso nüchtern hielt wie alle am Ort. Merkwürdigerweisefingen die Bauern bei seinem Anblick nicht zu lachen an, sondern ließen ihn vor sich her torkeln. Sie hörten schweigend auf die Flüche, die der Betrunkene ausstieß, auf die alten Männer, die das Land zugrunde gerichtet hatten, und seine düsteren Prophezeiungen über die neuen Männer, die ihm vollends den Garaus machten. Drin im Wahllokal, wozu man die Wirtsstube für diesen Sonntag gemacht hatte, saßen die Wahlhelfer, darunter der alte Merz selbst mit seinem wuchtigen Bart, die große Liste der Gemeinde vor sich. Neben ihm saß Konrad Bastian. Sie sagten grade zueinander, daß sie die Fahnen über die Hochzeit ihrer Kinder hängenlassen wollten, als Algeier hereinkam. Merz suchte Algeiers Namen in der Liste, vielmehr er brauchte nicht zu suchen, denn bei dieser einzigen Gelegenheit stand Algeier mit seinem A als erster in der dörflichen Rangordnung. Konrad Bastian schrieb Algeiers Namen auf einen Zettel, auf dem alle standen, die heute schon gewählt hatten. Als Algeier das merkte, warf er dem Konrad Bastian einen wütenden Blick zu, ging um den Tisch herum und steckte seinen Kopf hinter den Vorhang. Er war gekommen, in der Absicht, jemand zu wählen. Jetzt besann er sich anders, legte einen leeren Zettel ein und streckte die Zunge heraus, was er seit seiner Schulzeit nicht mehr gemacht hatte. Er kam mit dem Hintern zuerst aus dem Vorhang heraus, ging wieder um den Tisch herum und dann gleich heim. Gegen Mittag kam das rote Auto durchgefahren. Die Leute standen fast alle noch vor dem Wirtshaus. Keiner rief zurück, aber es gab heute auch keine Drohungen, obgleich es dasselbe Auto wie immer war mit den alten bekannten Gesichtern wie das der Frau Rendel. Aber heute rief das finstre, dunkle Gesicht der Frau mit ihrem hinter das Ohr geklemmten buschigen Zopfende auf den Gesichtern der Bauern kein Lächeln hervor, sondern Stirnrunzeln. Auf den Gesichtern der nachblickenden Bauern lag wieder Erstaunen, ein auf alle gleichmäßig verteilter Argwohn,und

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