Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932
sie ihr gegen das Gesicht in beide Augenhöhlen, daß sie hintenüberfiel. Der Junge im Feld war stehengeblieben, sah aber, daß die Rendel wider Erwarten sofort aufstand und offenbar allein zurechtkam. Da besann er sich anders und kehrte nach der Straße zurück. Rund um die ineinander verbissenen Menschen sammelte er schnell die zerstreuten Flugblätter von der Erde.
Zwanzig Minuten später stand Zillich in seiner Stube und kleidete sich für die Arbeit um. Seine Frau, eine kleine Bäuerin, zahnlos und hutzelig, als ob sie seine Mutter wäre, machte den Abendtisch zurecht für ihre acht Menschen.
Als es klopfte, sagten beide erstaunt: »Herein!« Zillich erkannte im Dunkeln nicht, wer gekommen war. Aber die Frauenstimme kam ihm bekannt vor. »Kann man reinkommen?«
Er drehte Licht an. Sie sahen sich verblüfft an. Zillich drückte die Stirn nach vorn. Zillichs Frau, die dem Rücken des Mannes etwas Drohendes ansah, kam furchtsam näher. Die Rendel sah aus Zillichs ihr schon bekanntem Gesicht weg in seine Stube. Sie sah schnell die zahnlose Frau, den für acht Menschen gedeckten Tisch. Über dem Herd sah sie ein riesiges, aus frischen, knorzigen, ungeschälten Ästen zusammengenageltes Hakenkreuz.
Zillichs Verblüffung verwandelte sich in einem Augenblick in Wut. Er packte, was ihm am nächsten war, den Feuerhaken. Seine Frau rief der fremden Frau zu: »Gehen Sie! Gehen Sie!« Die Rendel machte einen schnellenSchritt ins Zimmer hinein, unter seinem Arm durch. Sie legte ein paar Zettel auf den Tisch, auf den nächsten Teller. Zillich packte sie an der Schulter. »Raus!« Die Bäuerin, deren Gesicht vor Angst noch mehr verschrumpelt war, berührte seinen Rücken. Sie nahm ihm den Haken aus der Hand, ohne daß er es merkte.
»Ist’s bei euch so, die Weiber vorzuschicken?«
»Ihr schickt sie ja auch schaffen. Gehst du vielleicht allein aufs Feld?«
»Wenn du dich noch mal hier blicken läßt – «
»Ich werd mich grade hier oft blicken lassen.«
Er riß die Zettel vom Tisch, knäulte sie in zwei Fäusten, warf einen Knäuel der Rendel auf die Brust, den andern auf den Herd. »Raus!«
Er schob sie vor sich her in den Hof. Auf dem kleinen, schmutzigen, von Mist und Gerümpel vollgestopften Hof spielte ein Haufen Kinder auf einem umgestürzten Handkarren. Er hob den Arm, da rief die Rendel: »Komm, Ulrich!« Ein dürrer, abgerissener Junge, den Zillich im Dunkeln gar nicht als Fremden unter seinen eigenen Kindern erkannt hatte, rutschte die Karrendeichsel herunter und sprang neben die Frau.
Er wollte ins Haus zurückgehen. Auf der Erde zwischen den Pfützen lagen ein paar Zettel. Er bückte sich, er hielt den Zettel gegen die offene Tür. Schrift und Bild waren in Wolfs Werkstatt in Hast abgezogen, verwischt, unordentlich. Gleichwohl erkannte auch Zillich das Bild eines Mannes, schiefe Augen, Spitzbart: Nehmt und hütet wie den Augapfel das Land, die Fabriken, die Eisenbahnen und alle Werkzeuge! Dieses soll von nun an euer alleiniger Besitz sein.
Als hätte er noch gar nichts erkannt, sondern wollte grade ein Erkennen verhindern, riß Zillich das Gesicht blitzschnell mitten durch.
Er trat in den Hof zurück. Er bewegte seinen großen, geschorenen Kopf nachdenklich hin und her. Plötzlichfing er an, geschüttelt von einer Kraft, die ihm anzuwenden unmöglich war, zu schlucken erst recht unmöglich, die Fäuste in der Luft zu schütteln, mit den Füßen aufzustampfen. Der Dreck spritzte, die Kinder stürzten voller Angst ins Haus.
VII
Am Sonntagmorgen hatte der Pfarrer Braumüller in ungewohnter Feierlichkeit seiner verwunderten und eingeschüchterten Gemeinde befohlen – nicht an den Tod, aber an die Wahl zu denken. Er sagte ihnen, der Mensch erhalte das Leben zum Geschenk, um es voll und ganz auszunutzen, wer träge zu seinem Volk sei, der sei auch zu Gott träge. Wer gewohnt sei, zu wählen, dem könne auch diese Wahl nicht schwerfallen, denn das sei eben eine Wahl wie jede andere, eine Wahl zwischen Gut und Böse. Dabei sei es selten, daß ein Mensch vor eine so leichte Wahl gestellt sei, kein Mensch könnte im Ernst zögern, was ihm lieber sei: seine Last abgenommen oder ein Gewicht dazugelegt, den roten Hahn aufs Dach oder frische Schindeln, sein Vaterland frei oder niedergedrückt, das Kreuz zerschlagen oder frisch gezimmert, sein Hab und Gut frisch umzäunt oder weggetragen. Braumüller sah scharf einen nach dem andern an. Das Kirchlein hatte große, blanke Fenster, die Wände waren weiß getüncht
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