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Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932

Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932

Titel: Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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sogar eine kindliche Angst: wie soll man sich da auskennen. Es war, als ob alle bereits das Äußerste getan hätten, wozu man sie überhaupt bekommen könnte. Jemand trat zu dem Andreas Bastian heran und fragte ihn, ob er gewählt hätte. Bastian erwiderte: »Ja.« Der andere behauptete, er sei überhaupt nicht hineingegangen. Bastian erwiderte: »Doch, ich bin.« Er sah erschrocken sein Weib an, der war nicht anzumerken, ob sie die Lüge gehört hatte. Bastian wollte unter keinen Umständen wählen. Warum nicht, das war ihm nicht klar, aber klar war ihm, daß er durch nichts zur Wahl zu bringen war. Es war ihm aber schwer ums Herz, weil er gelogen hatte, dazu war die Lüge nutzlos, der alte Merz hinter der Liste wußte genau, wer gekommen war. Zur Strafe trat jetzt der Neugebauer auf ihn zu und fragte ihn, ob Johann mitgekommen sei. Bastian erwiderte, daß Johann in die Stadt gemußt hatte und dort wählen ging. Aber obwohl nun dies die Wahrheit war, lächelte der andere und glaubte gar nichts. Mittags wurde dem Konrad Bastian und dem alten Merz Essen von ihren Töchtern gebracht, die anderen Wahlhelfer ließen sich über Tisch ablösen, um diese Zeit kam sowieso niemand wählen. Nachmitags war es voll. Die meisten hatten schon morgens gewählt und kamen nur wieder, um etwas zu trinken und sich umzutun. Zwar wurde hie und da scharf »Heil« geschrien und manchmal kreischend ein Lied begonnen, man hörte auch Flüche und Mutmaßungen, doch fand sich gar keiner in eine erlösende Trunkenheit. Sie blieben bis in den Abend in einem unschlüssigen Knäuel um den Baum zusammen. Sie kamen sich dicht und viel vor, verwirrend war das Licht, das aus der auf- und zuklappenden Wirtshaustür fiel.
    Bastians wollten sich zum Essen setzen, als drei Nazis hereinkamen und ihn aufforderten, mit seinem Weib zur Wahl zu gehen. Bastian sagte wieder: »Schon gemacht.« Aber Niklas rief: »Ihr wart nicht. Wir wissen’s.« Bastiansagte: »Schon gut. Wir kommen noch.« Niklas rief: »Jetzt ist’s doch Torschluß.« Bastian warf einen ängstlichen Blick auf seine Frau. Zu seinem Erstaunen und seiner Erleichterung log auch sie schnell: »Ich muß noch stillen.« Die drei fragten im Weggehen: »Johann, wo ist denn der?« – »In der Stadt.« – »Ausgerechnet heut. Wo wählt er denn?« – »In der Stadt.« – »Was wählt er denn?« – »Hab ihn nicht gefragt.« – »Wenn man unter einem Dach lebt, fragt man sich doch.« Bastian merkte beunruhigt, daß sie im Weggehen über Johann weiterredeten.
    Als die Wahl vorüber war, schloß Konrad Bastian von innen die Tür. Die Wahlhelfer standen auf und reckten sich. Der alte Merz riß den Vorhang weg, stellte die Wahlurne vor sich und öffnete behutsam, um die Zettel nicht in Unordnung zu bringen. Dann ließ er sich von der Wirtin eine Haarnadel geben. Er klemmte alle Zettel in die Haarnadel, so wie sie in der Urne gelegen hatten. Dann las Konrad Bastian langsam von seinem Zettel die Namen ab, in derselben Reihenfolge, in der sie eingetreten waren. Zu jedem Namen zog der alte Merz den dazugehörigen Zettel aus dem Päckchen. Sie wunderten sich, daß der alte Großmann Nazi gewählt hatte, sie lachten, weil es der Neugebauer und seine hexische Frau auch getan hatten, sie schimpften, weil die Hebamme und ihr Mann wieder Sozi gewählt hatten (das taten sie nur, weil der Staat damals den Kurs gratis gegeben hatte). Sie ärgerten sich, weil Algeier ungültig gewählt hatte und niemand aus ihm klug wurde. Dann fingen sie zu rechnen an. Als sie fertig waren, schrieb der alte Merz die Ergebnisse auf einen großen Bogen mit seiner schönen Amtsschrift. Dann riegelte er die Tür auf und schlug den Bogen außen an. Die Leute schoben sich zusammen und murmelten. Eine gute Hälfte hatte Nazi gewählt, ein knappes Viertel Deutschnational, zwei Sozi, die übrigen gar nichts. Alle waren verwundert, als hätten sie gar nicht dazu beigetragen. Ein Teil drängte ins Lokal, das inzwischen wieder Wirtsstubegeworden war. Ein Teil lief heim durch die dunkle Gasse, in der die großen ungewohnten Fahnenschatten glitschten.
    Im Wirtshaus wurde das Radio angemacht. Alle wunderten sich über die aus dem Messingmund hallenden unbekannten Städte und ungeheuren Zahlen. Ein spukhaftes Land aus Zahlen und Namen, ohne Gesichter, ohne Wälder und ohne Ackerland. Sie waren überwältigt, daß es so viele gab, die dasselbe wie sie gewählt hatten, aber es kam ihnen auch merkwürdig vor, daß viele etwas anderes gewählt

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