Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932

Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932

Titel: Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
Krämpfen und Husten wegstarben. Das Fleisch drückte Zillichs Magen, er trank sein zweites Glas. Mochte er anstellen, was er wollte, er war eingefangen. Er mochte sich drehen und wenden, wie er wollte – was hatte das arme Wurm mit der Hochzeit zu tun? Ich werde dich jedenfalls gehörig zwiebeln, Merz, dachte Zillich in bezug auf den Bräutigam. Alles lief durcheinander.
    »Trink, du mußt doch.« Sophie hatte nichts gegessen,jetzt nahm sie das Glas und trank einen Schluck ab. Wenn ich das Glas noch anschlage, bevor sie’s niederstellt, wird sie die Meine, dachte der junge Merz. Er streckte hastig den Arm aus, über ihre Brust, und schlug an. Beide erschraken, er aber faßte sich schnell und lachte. Der Müller ist ihr Onkel, dachte Kunkel, aber wer ist ihr Vater, ist er unter den Gästen? Was hat er? Ich bin ein rechtschaffener Mensch. Alle haben Schulden. Meine Gärtnerei geht gut. Wie er es so überdachte, wie das alles klappen könnte, zog es den Christian Kunkel gewaltig unter dem Tisch nach der Nichte des Beurener Müllers.
    Der alte Merz drehte nicht den Kopf, als sei sein Bart aus Blei. Er drehte nur die Augen. Die roten und weißen Gesichter seiner Gäste glänzten wie ein Kreis aus Monden. Ihm gefiel alles: das Herbstlicht auf seinem Körper, der schon von innen warm war, die fortwährende Musik, die alle Gedanken wegnahm, die schwerer waren als das i-i einer Ziehharmonika.
    Vielleicht war der Bruch in ihm, als er das zweite Glas leer trank: Mochte sein Sohn in alle Schwierigkeiten verwickelt werden, er wollte sich beizeit davonmachen.
    Andreas Bastian verließ die Hochzeit seines Bruders unter einem Vorwand so früh wie möglich. Er hieß seine Frau, um den Anstand zu wahren, noch etwas dort bleiben. In der Nähe von Konrad Bastians Haus erblickte er plötzlich das Gesicht seiner Tochter Dora, ein weißes Flämmchen, die Dorfgasse herunter auf ihn zuschweben. Wie am Pranger lag ihr Kopf in der Kerbe des wuchtigen Tragholzes, an dem die Eimer hingen. Als sie ihn erblickte, stellte sie sofort die Eimer nieder, aber so ungeschickt, daß ihr das Wasser in den Schuh lief. Sie bückte sich, um die Tragstange auf den Eimer zu legen und ihr Gesicht vor dem Vater zu verbergen. Vor drei Tagen hatte Konrad Bastian angefragt, ob man die Dora nicht gleich heraufschicken könnte, weil das Haus über die Festtage in Arbeit steckte. Andreas Bastian blickte herunter aufdas dünne, helle, in der Mitte gescheitelte Haar seines Kindes. Er wußte, daß Konrad Bastian und seine Frau dies anordneten, um dem Mädchen und den Ihrigen etwas anzutun. Er verbarg seine Verzweiflung und fragte: »Ist euer Brunnen in Unordnung?« – »Es gibt dort immer Wäsche über die Hochzeit.« Sie bückte sich und legte die Stange auf ihre Schultern. Bastian blieb stehen und sah ihrem schmalen, vor Anstrengung schwingenden Rücken nach.
IV
    Als Johann von Wolfs wegging und am Stadthaus vorbeikam, stand Kößlin im Seiteneingang und forderte ihn auf, zu warten und mit ihm zusammen heimzugehen. Johann ging also die Treppe hinauf und setzte sich unter das Fenster auf die Bank. Kößlin wurde schnell aufgerufen, kam aber gleich darauf wütend heraus, irgend etwas fehlte, er mußte noch mal wiederkommen. »Das ist immer so. Komm jetzt.« Sie gingen schimpfend nach der Treppe. Auf einmal blieb Johann stehen, er packte sogar Kößlin am Arm, er erblickte sein Bild dicht vor sich, er beherrschte sich nicht, sondern starrte gradeaus. Kößlin folgte seinem Blick. Johann merkte gar nicht, daß er Kößlins Arm noch immer schmerzhaft gepackt hielt. Auch Kößlin merkte das nicht. Sie blieben stehen und starrten. Endlich ließ Johann den Arm los. Johann sagte: »Na, also.« Er blieb eine Weile stehen, dann riß er sich los, er ging den Gang hinunter, die Treppe hinunter, Kößlin neben sich. Er dachte sich wenigstens, Kößlin ging neben ihm. Er hatte keine Lust, ihn anzusehen. Er dachte: Gleich zu Wolf – sinnlos. Er dachte: Heim zu Bastian – sinnlos. Er dachte: Sofort abfahren – richtig. Er stand jetzt auf dem Marktplatz, er mußte Kößlin ansehen.
    Er sah Kößlin an, Kößlin sah ruhig zurück. Auch er war ein wenig bleich geworden. Sie sahen wieder auf denBoden und gingen schweigend weiter. Sie blickten sich wieder an, als sei seit dem ersten Blick eine lange Frist verstrichen und sie träfen sich an einem fremden Ort. Kößlin sagte: »Ich möchte gern noch mit dir reden.« Johann sagte: »Ich möchte auch mit dir reden.« Sie atmeten beide.

Weitere Kostenlose Bücher